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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verbrechen
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vorschlug, Ingrid möge
Hilfe bei einem befreundeten Nervenarzt suchen, warf sie eine Pfanne nach ihm
und brüllte, er sei eine undankbare Sau.
     
     
    In der Nacht vor seinem 60. Geburtstag lag Fähner wach. Er
hatte das ausgeblichene Ägyptenfoto hervorgeholt: Ingrid und er vor der
Cheopspyramide, im Hintergrund Kamele, Touristenbeduinen und Sand. Als sie die
Hochzeitsalben weggeschmissen hatte, hatte er das Bild wieder aus dem Mülleimer
gezogen. Seitdem verwahrte er es tief unten in seinem Schrank.
     
    In dieser Nacht begriff Fähner,
dass er immer weiter, bis zum Ende seines Lebens, ein Gefangener bleiben würde.
Er hatte sein Versprechen in Kairo gegeben. Er musste es gerade jetzt, in den
schlechten Tagen, halten; ein Versprechen nur für gute Tage gab es nicht. Das
Bild verschwamm vor seinen Augen. Er zog sich aus und stellte sich nackt vor
den Spiegel im Badezimmer. Er sah sich lange an. Dann setzte er sich auf den
Rand der Badewanne. Zum ersten Mal in seinem Erwachsenenleben weinte er.
     
     
    Fähner arbeitete in seinem
Garten. Er war jetzt 72, vor vier Jahren hatte er die Praxis verkauft. Wie immer
war er um sechs Uhr aufgestanden. Er hatte das Gästezimmer - er wohnte schon
seit Jahren dort - leise verlassen. Ingrid schlief noch. Es war ein leuchtender
Septembervormittag. Der Frühnebel hatte sich zurückgezogen, die Luft war klar
und kalt. Fähner jätete mit der Hacke das Unkraut zwischen den Herbststauden.
Es war eine anstrengende und eintönige Arbeit. Fähner war zufrieden. Er freute
sich auf den Kaffee, den er wie immer in seiner Pause um halb zehn trinken
würde. Fähner dachte an den Rittersporn, den er im Frühjahr gepflanzt hatte.
Er würde im Spätherbst ein drittes Mal blühen.
     
    Plötzlich riss Ingrid die
Terrassentür auf. Sie brüllte, er habe schon wieder vergessen, das Fenster im
Gästezimmer zu schließen, er sei einfach nur ein Idiot. Ihre Stimme überschlug
sich. Blankes Metall.
     
    Fähner würde später nicht
genau beschreiben können, was er in diesem Moment dachte. Es habe in ihm, ganz
tief unten, hart und scharf zu leuchten begonnen. Alles sei überdeutlich in
diesem Licht gewesen. Gleißend.
    Er bat Ingrid, in den Keller
zu kommen, und nahm selbst die Außentreppe. Ingrid betrat schnaufend den
Kellerraum, in dem er die Gartengeräte aufbewahrte. Sie hingen geordnet nach
Funktion und Größe an den Wänden oder standen gereinigt in Blech- und
Plastikeimern. Es waren schöne Geräte, die er in den vergangenen Jahren
zusammengetragen hatte. Ingrid kam selten hierher. Als sie die Tür öffnete,
nahm Fähner wortlos die Baumaxt von der Wand. Sie stammte aus Schweden,
handgeschmiedet, sie war eingefettet und ohne Rost. Ingrid verstummte. Er trug
noch die groben Gartenhandschuhe. Ingrid starrte auf die Axt. Sie wich nicht
aus. Bereits der erste Schlag, der ihre Schädeldecke spaltete, war tödlich. Die
Axt drang mit abgesplitterten Knochenstücken weiter bis in das Gehirn, die
Schneide teilte ihr Gesicht. Noch bevor sie zu Boden fiel, war sie tot. Fähner
hatte Mühe, die Axt aus ihrem Schädel zu hebeln, er stellte seinen Fuß auf
ihren Hals. Mit zwei wuchtigen Hieben trennte er den Kopf vom Rumpf. Der
Gerichtsmediziner verzeichnete später siebzehn weitere Schläge, die Fähner
benötigte, um Arme und Beine abzutrennen.
     
    Fähner atmete schwer. Er
setzte sich auf den kleinen Holzschemel, den er sonst beim Pflanzen benutzte.
Die Beine des Hockers standen im Blut. Fähner bekam Hunger. Irgendwann stand
er auf, zog sich neben der Leiche aus und wusch sich am Gartenwaschbecken im
Keller das Blut aus den Haaren und vom Gesicht. Er schloss den Keller ab und
ging über die Innentreppe in die Wohnung. Oben kleidete er sich wieder an, wählte
den Polizeinotruf, nannte seinen Namen und die Anschrift und sagte wörtlich:
»Ich habe Ingrid klein gemacht. Kommen Sie sofort.« Der Anruf wurde aufgezeichnet.
Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er auf. Seine Stimme war nicht erregt.
     
    Die Polizisten trafen ohne
Sirene und Blaulicht ein paar Minuten nach dem Anruf vor Fähners Haus ein.
Einer der Beamten war seit 29 Jahren im Polizeidienst, alle in seiner Familie waren
bei Fähner Patienten gewesen. Fähner stand vor dem Gartentor und gab ihm die Schlüssel.
Er sagte, sie sei im Keller. Der Polizist wusste, dass es besser war, keine
Fragen zu stellen: Fähner trug einen Anzug, aber weder Schuhe noch Strümpfe. Er
war sehr ruhig.
     
     
    Der Prozess dauerte vier Tage.
Der Vorsitzende der

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