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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verbrechen
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Fähner«
     
    Tanatas
Teeschale
     
    Sie waren auf einer dieser
öffentlichen Studentenpartys in Berlin. Dort gab es immer ein paar Mädchen, die
auf Jungs aus Kreuzberg und Neukölln standen, einfach nur, weil sie anders
waren. Vielleicht zog sie es an, in ihnen das Verletzliche zu suchen. Auch
diesmal schien Samir Glück zu haben: Sie hatte blaue Augen und lachte viel.
     
    Plötzlich tauchte ihr Freund
auf, Samir solle verschwinden, oder man würde das auf der Straße austragen.
Samir verstand nicht, was »austragen« hieß, aber er verstand die Aggression.
Sie wurden nach draußen gedrängt. Ein älterer Student sagte zu Samir, der
andere sei Amateurboxer und Meister der Uni. Samir sagte: »Mir scheißegal.« Er
war erst 17, aber er
hatte über 150 Straßenkämpfe
hinter sich, und es gab nur wenige Dinge, vor denen er Angst hatte -
Schlägereien gehörten nicht dazu.
    Der Boxer war muskulös, einen
Kopf größer und ein ganzes Stück breiter als Samir. Und er grinste blöde. Um
die beiden bildete sich ein Kreis, und während der Boxer sich noch die Jacke
auszog, trat Samir mit der Schuhspitze in seine Hoden. Die Schuhe hatten auf
der Innenseite Stahlkappen, der Boxer gurgelte und wollte sich vor Schmerz
zusammenkrümmen. Samir packte seinen Kopf an den Haaren, riss ihn runter und
rammte ihm gleichzeitig das rechte Knie ins Gesicht. Obwohl es ziemlich laut
auf der Straße war, konnte man hören, wie der Kiefer des Boxers knackte. Er lag
blutend auf dem Asphalt, eine Hand vor dem Schoß, die andere vor dem Gesicht.
Samir nahm zwei Schritte Anlauf; der Tritt brach dem Boxer zwei Pappen.
     
    Samir fand, er habe sich fair
verhalten. Er hatte nicht in das Gesicht getreten, und vor allem: Er hatte das
Messer nicht benutzt. Es war einfach gewesen, er war kaum außer Atem. Er
ärgerte sich, weil die Blonde nicht mit ihm abhaute, sondern heulte und sich
um den Mann am Boden kümmerte. »Scheiß Schlampe«, sagte er und ging nach Hause.
     
    Der Jugendrichter verurteilte
Samir zu zwei Wochen Dauerarrest und zur Teilnahme an einem Antigewaltseminar.
Samir war wütend. Er versuchte den Sozialarbeitern in der Jugendstrafanstalt zu
erklären, dass das Urteil falsch sei. Der Boxer habe angefangen, er sei nur
schneller gewesen. So etwas sei kein Spiel, man könne Fußball spielen, aber
Boxen spiele niemand. Der Richter habe die Regeln nicht kapiert.
    Özcan holte Samir nach den
zwei Wochen vom Gefängnis ab. Özcan war Samirs bester Freund. Er war 18 Jahre alt, ein großer und
langsamer Junge mit teigigem Gesicht. Er hatte schon mit zwölf eine Freundin
gehabt und die Aktivitäten mit ihr mit dem Handy gefilmt. Das hatte ihm für
alle Zeiten seinen Platz gesichert. Özcan hatte einen absurd großen Penis, und
er stellte sich in den Pissoirs immer so hin, dass die anderen ihn sehen konnten.
Er wollte unbedingt nach New York. Er war noch nie dort gewesen, er sprach kein
Englisch, aber er war besessen von der Stadt. Man sah ihn nie ohne seine
dunkelblaue Kappe mit der Aufschrift »N.Y.«. Er wollte in Manhattan einen
Nachtclub mit Restaurant und Go-go-Tänzerinnen betreiben. Oder so etwas
Ähnliches. Er konnte nicht erklären, wieso es ausgerechnet New York sein
sollte, aber er dachte auch nicht darüber nach. Sein Vater hatte sein Leben
lang in einer Glühbirnenfabrik gearbeitet, er war aus der Türkei nur mit einem
Koffer eingewandert. Sein Sohn war seine Hoffnung. Die New-York-Sache verstand
er nicht.
     
    Özcan sagte zu Samir, er habe
jemanden kennengelernt, der einen Plan habe. Er heiße Manólis, der Plan sei
gut, aber Manólis »nicht ganz dicht«.
     
    Manólis stammte aus einer
griechischen Familie, die eine Reihe von Restaurants und Internetcafes in
Kreuzberg und Neukölln betrieb. Er hatte Abitur gemacht, angefangen, Geschichte
zu studieren, und sich nebenbei im Drogenhandel versucht. Vor ein paar Jahren war
etwas schiefgelaufen. In dem Koffer waren anstelle von Kokain nur Papier und
Sand gewesen. Der Käufer schoss auf Manólis, als er mit Wagen und Geld fliehen
wollte. Der Käufer war kein guter Schütze, von den neun Kugeln traf nur eine.
Sie drang in Manólis' Hinterkopf ein und blieb dort stecken. Manólis hatte das
Projektil noch im Kopf, als er mit einem Funkstreifenwagen zusammenstieß. Erst
im Krankenhaus entdeckten die Ärzte es, und seitdem hatte Manólis ein Problem.
Nach der Operation verkündete er seiner Familie, dass er ab jetzt Finne sei,
feierte jedes Jahr den 6. Dezember als finnischen

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