Von sündiger Anmut: Roman (German Edition)
Hörweite.
Er führte sie zur Balustrade. Sie nahm ihre Hand von seinem Arm und stützte sich mit beiden Händen auf den Marmorsims, als würde sie die Aussicht genießen.
»Was wollen Sie?«, fragte sie kalt.
Er wartete so lange, bis sie ihn wieder anschaute. Sein Lächeln verblasste: »Ich weiß über das Gemälde Bescheid.«
Sie atmete so heftig ein, als hätte man sie in den Magen geboxt. O Gott , dachte sie voller Inbrunst, umklammerte den Marmor und starrte mit brennendem Blick in den Garten. Sie hatte Angst, sich zu verraten, wenn sie ihm das Gesicht zuwandte.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte sie und wünschte, nicht gar so förmlich zu klingen. »Meine Cousine Susanna ist die Künstlerin in der Familie, nicht ich.«
»Nein, aber Sie sind das Modell. Ich muss gestehen, dass ich nicht von selbst auf die Idee gekommen bin. Ein Gentleman – wenn man die Bezeichnung in diesem Zusammenhang benutzen kann – hat es mir geflüstert. Er sagte, er hätte Miss Rebecca Leland genau den gleichen Schmuck wie auf dem Gemälde tragen sehen … Und weil das so ist, kann sie natürlich nicht das Modell sein, ebenso wenig wie ihre Schwester, diese alte Jungfer.«
Genau das gleiche Argument, das auch Peter vorgebracht hatte.
Sie versuchte sich herauszureden. »Ich weiß immer noch nicht …«
»Hören Sie auf, Elizabeth. Ist Ihnen eigentlich nicht klar, wo dieses Gemälde hängt und dass eine Menge Leute es tagtäglich sehen?«
Das erklärte endgültig die Geschichte mit Lord Dekker – er wusste es also ebenfalls. Wenn noch mehr Leute davon erfuhren, würde ihr Ruf ruiniert und das Ansehen ihrer Familie in Mitleidenschaft gezogen sein.
»Ich verstehe nicht, warum Sie sich in eine solche Situation begeben haben«, fuhr er fort, »aber ich weiß, dass Sie beschützt werden müssen.«
Sie holte bebend Luft, und sie überlegte, worauf er wohl hinauswollte.
»Ich kann dafür sorgen, dass die Gerüchte keine weiteren Kreise ziehen, dass Madingley nie die Wahrheit über seine Schwester erfährt. Unter der Bedingung allerdings, dass Sie mich heiraten.«
Sie sah ihn entsetzt an. Das also war der Preis. Sein durchdringender Blick ruhte auf ihr. Er verzog keine Miene, doch seine Augen glitzerten leicht. Empfand er ihre Zurückweisung als dermaßen demütigend, dass er nach der erstbesten Gelegenheit griff, sie zu zwingen? Zu bekommen, was er wollte? Das Gemälde hatte ihm direkt in die Hände gespielt.
»Sie heiraten?«, flüsterte sie, als würden die Worte für sie keinen Sinn ergeben.
»Ja, auch wenn Sie vor einem Jahr nicht sonderlich interessiert schienen.«
Eine gewisse Schärfe lag in seinen Worten und bestätigte ihre Vermutung, dass er die Zurückweisung überaus schlecht aufgenommen hatte.
»Wenn Sie mich heiraten«, fuhr er fort, »lösen sich all Ihre Probleme. Mein Name wird Ihnen Schutz bieten. Ganz zu schweigen natürlich von dem Vorteil für unsere beiden Familien. Kein Mensch würde es jedenfalls wagen, weiter Gerüchte in die Welt zu setzen.«
Panik machte sich breit, und ihre Furcht wandelte sich gleichermaßen zu Wut und Verzweiflung.
»Ich kann Sie nicht heiraten«, stieß sie fast atemlos hervor. »Ich bin bereits verlobt.«
Wie war sie bloß auf diese Lüge gekommen, fragte sie sich entsetzt. Wenn er nun vollends die Beherrschung verlor und allen die Wahrheit erzählte? Eine Verlobung bewahrte sie nur vor einer Heirat, nicht aber vor der Enthüllung des Geheimnisses und der Schande.
Es überraschte sie, als er spöttisch lachte. »Ich glaube Ihnen kein Wort. Ich habe nichts von einer Verlobung gehört, meine hochwohlgeborene Lady. Wir wissen doch beide, dass solch eine Neuigkeit schnell die Runde machen würde. So etwas ließe sich nicht geheim halten.«
»Aber die Verlobung ist geheim«, erklärte sie mit dem Mut der Verzweiflung. »Ich kann Ihnen nicht einmal den Namen meines Verlobten nennen, denn er muss noch mit meinem Bruder sprechen.« Eine durchaus plausible Erklärung, fand sie.
Thomas schüttelte den Kopf. »Ach, Elizabeth, Sie machen das Ganze zu einer interessanten Herausforderung. Das ist schön. Ich will Sie, doch meine Geduld währt nicht ewig. Falls es tatsächlich eine Verlobung gibt – was ich stark bezweifle –, würde ich vorschlagen, dass Sie dem armen Mann das Herz brechen.«
»Das kann ich nicht.«
»Natürlich können Sie – und Sie werden. Schließlich müssten Sie sonst zu Ihrem Bruder gehen und ihm beichten, wie Sie überhaupt in diesen Schlamassel
Weitere Kostenlose Bücher