Von sündiger Anmut: Roman (German Edition)
kneifen galt nicht, und als sie ihn ansah, entdeckte sie in seinem Blick etwas völlig Neues. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte.
Während des heutigen Empfangs hatte sie ihren Blick durch den Salon schweifen lassen und Peter in der Nähe der Tür sitzen sehen, wo er darauf wartete, mit ihr alleine zu sein. Es war das erste Mal, dass sie ihn als Mann betrachtete und über seine Wirkung bei Frauen nachdachte.
Er war groß und gut gebaut, hatte sandfarbenes Haar und blaue Augen, die zu funkeln schienen, wenn er zu ihr herüberblickte, und ein schmales, kantiges Gesicht. Obwohl die Familie nicht auf Rosen gebettet war und dem jüngeren Sohn etwa der Besuch von Cambridge versagt blieb, obwohl sie ganz in der Nähe lebten, wirkte Peter immer optimistisch und positiv eingestellt.
Sie hatte gehofft, er sei gekommen, um sich für den gestrigen Abend zu entschuldigen oder um ihr mitzuteilen, er habe seinen Freunden die alberne Wette ausgeredet. Er hätte das alles regeln und ihr sogar das Bild beschaffen können.
Aber nein. Der zuverlässige Freund von früher schien sich im Laufe des letzten Jahres völlig verändert zu haben, und sie wusste nicht warum. Ihr waren Gerüchte zu Ohren gekommen, er bewege sich, seit er schnell zu einem ansehnlichen Vermögen gekommen sei, in Gesellschaft zweifelhafter Frauen und treibe sich an den Spieltischen herum. Sie hatte eigentlich angenommen, dass er sich jetzt nach einer Ehefrau umschauen würde, doch er ließ bislang kein Interesse erkennen. Obwohl er jetzt über Geld verfügte – der alte Peter war ihr lieber gewesen
Sie schob die Gedanken an ihn beiseite. Einen Tanz für ihn reservieren, also wirklich! Bestimmt nicht nach dem gestrigen Vorfall. Sie würde sich keinen Ball und schon gar nicht die Saison durch ihn verderben lassen. Schließlich war sie eine begehrte junge Dame, die die Auswahl hatte. Sie konnte sich unter den unverheirateten Gentlemen den perfekten Ehemann aussuchen. Die unbedachten Torheiten ihrer Jugend lagen hinter ihr. Die meisten zumindest.
»Lady Elizabeth! Lady Elizabeth!« Einer der Lakaien rannte hinter ihr her, als sie bereits die Treppe hinaufzusteigen begann.
Sie drehte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln, denn die Dienstboten hatten es nicht verdient, unter ihrer schlechten Laune zu leiden. »Ja, Wilfred?«
Sein Adamsapfel hüpfte, als er sich verbeugte. »Miss Gibson ist da. Ich habe sie wie immer in Ihr Schlafzimmer geführt.«
»Danke, Wilfred. Lassen Sie bitte Tee und Kuchen bringen? Miss Gibson liebt Kuchen.«
»Natürlich, Mylady.«
In ihrem Schlafzimmer fand sie Lucinda vor, die bäuchlings auf ihrem Bett lag und einen Roman las. Mit ihrem blonden Haar und den blassgrünen Augen, der kleinen und fast dünn zu nennenden Gestalt war sie das genaue Gegenteil der hochgewachsenen, dunklen Elizabeth mit ihren sinnlichen Kurven. Auch ihre Mentalität könnte nicht unterschiedlicher sein. Während Elizabeth mit jedem unbefangen umging, vom Dienstboten bis hin zum Prinzen, wirkte die Freundin eher scheu. Doch was sie verband, waren der Sinn für Humor und Loyalität.
Elizabeth verspürte einen kurzen Anflug von schlechtem Gewissen, weil sie Lucy nicht die Wahrheit über das Gemälde erzählen konnte.
Die drei Cousinen hatten nämlich einen Eid darauf abgelegt, es niemandem zu verraten. Es war bereits ihr zweiter, denn vor einigen Jahren hatten sie sich geschworen, immer und unter allen Umständen füreinander einzustehen und sich gegenseitig zu schützen.
Nur dumm, dass sie es vor der Freundin verheimlichen musste.
»Lucy, du hast doch nicht etwa schon wieder die Seite verblättert, bis zu der ich gelesen habe, oder?«, fragte Elizabeth und warf sich theatralisch aufs Bett.
Lucy verzog das Gesicht. »Du hast es erst zehnmal gelesen. Es ist mir wirklich zuwider, dir den Spaß an der Geschichte zu verderben, indem ich dir das Ende erzähle, aber das Mädchen bekommt den Prinzen.«
Elizabeth gab einen dramatischen Seufzer von sich.
»Du wirst auch noch deinen Prinzen bekommen.«
Elizabeth drehte den Kopf und sah ihre Freundin an. »Wirklich?«, fragte sie wehmütig.
»Wirklich. Wir werden bestimmt eines Tages richtige Schwestern – dafür sorgen wir schon.«
Elizabeth seufzte. »Wenn dein Bruder nur ein bisschen entgegenkommender wäre.«
»Das wird er bestimmt noch. Bei William dauert’s manchmal bloß länger, bis er etwas merkt.«
»Ich weiß, aber viele Männer in seinem Alter sind nicht bereit, sich durch eine Ehe
Weitere Kostenlose Bücher