Von sündiger Anmut: Roman (German Edition)
näherte und sie zu ihrem ersten Walzer abholte. Ein Mann von muskulöser, stämmiger Figur mit überbreiten Schultern, jedoch kaum größer als sie. Auf der Tanzfläche führte er sicher, wenngleich nicht mit vollendeter Anmut. Er bedachte sie mit einem Lächeln, und sie erwiderte es, denn immerhin vertrieb das Tanzen die quälenden Gedanken an das dumme Gemälde.
Plötzlich spürte sie einen kühlen Luftzug im Nacken und merkte, dass Lord Dekker sich mit ihr in Richtung der Terrassentüren bewegte. Ihr Lächeln verschwand angesichts der Dunkelheit draußen, die nur von Fackeln erhellt wurde. Sie wollte innehalten, doch er vollführte eine weitere Drehung und zog sie genau vor den Augen einer Gruppe erstaunter älterer Damen halb durch die Türen.
»Lord Dekker«, zischte sie leise durch die Zähne, »die Tanzfläche befindet sich in der anderen Richtung.« Sie versuchte ihm ihre Hand zu entziehen, aber er ließ sie nicht los, zwinkerte ihr nur zu und begann sich wieder mit ihr zu drehen.
Als sie den gaffenden Damen den Rücken kehrte, legte sie ihr Lächeln ab und schaute ihn finster an. »Lord Dekker, ich habe nicht den Wunsch, den Ballsaal zu verlassen.«
»Ich bin sicher, dass Sie es wollen«, murmelte er und sah sie mit einem anzüglichen Grinsen an.
Das konnte er doch unmöglich gesagt haben? Bestimmt hatte sie sich verhört, oder? Sie war drauf und dran, ihm eine Szene zu machen und für einen kleinen Aufruhr zu sorgen, sollte er es weiter darauf anlegen, sie nach draußen zu ziehen.
»Verzeihung, Lady Elizabeth«, hörte sie eine Stimme hinter sich. »Ich glaube, das ist mein Tanz.«
Dekker ließ sie sofort los, und beide drehten sich um. Vor ihnen stand Lord Thomas Wythorne, der jüngere Sohn eines Herzogs. Es waren die ersten Worte, die sie von ihm hörte, seit sie vor etwa einem Jahr seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte. Ihr Bruder war darüber sehr enttäuscht gewesen, weil er den jungen Mann als die bestmögliche Partie für sie betrachtete. Desgleichen schien die Verbindung für die beiden Mütter seit Langem beschlossene Sache gewesen zu sein, und in der Gesellschaft war man offenbar ebenfalls der Meinung, dass sie vom Schicksal füreinander bestimmt seien. Doch die Erwartungen anderer, fand Elizabeth, waren noch lange kein Grund zu heiraten.
Thomas Wythorne lächelte treuherzig, während er zwischen ihr und ihrem Tanzpartner hin und her schaute. Dekker verbeugte sich.
»Mein Fehler«, sagte er und ging weg.
Elizabeth lächelte ihren Retter zwar dankbar an, rieb sich indes nervös die Hände an ihren Röcken. Das Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals, ohne dass sie zu sagen vermocht hätte, warum. Schließlich stand sie nicht das erste Mal auf einer mondbeschienenen Terrasse. Und bestimmt waren sie auch nicht alleine hier draußen, sondern befanden sich in Gesellschaft anderer Paare, die eine Abkühlung suchten.
»Geht es Ihnen gut, Lady Elizabeth?«
Sie nickte und bemühte sich, etwas aufrichtiger zu lächeln. »Natürlich, Mylord. Nur ein Missverständnis, das ist alles.«
Er zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Sein welliges braunes Haar umrahmte ein schmales, aristokratisches Gesicht, dem man die edle Abstammung schon von Weitem ansah. Sie hatte ihn immer sehr gemocht, aber Gernhaben war etwas anderes als Liebe. In diesem Punkt war sie durch und durch Romantikerin und würde auf den einzig Richtigen warten. Zum Glück erlaubten ihre familiären Verhältnisse das.
Wythorne räusperte sich. »Da haben vermutlich mehrere Gentlemen bereits am frühen Abend zu viel getrunken.«
»Das muss es wohl sein«, erwiderte sie, während sie sich zu entspannen versuchte.
»Sie könnten mit mir tanzen, Lady Elizabeth«, meinte er und legte den Kopf auf die Seite, als würde er auf ihre Antwort warten.
Es wäre nur höflich, auf sein Angebot einzugehen, zumal er offenbar seine Verärgerung über ihre Ablehnung seines Antrags vergessen wollte. Doch ehe sie seine Einladung zum Tanz annehmen konnte, entdeckte sie Peter Derby, der neben ihrer Mutter stand. Er würde nicht etwa …? Der Abend wurde ja mit jeder Minute schlimmer.
Die Witwe des vorherigen Duke of Madingley war Teil einer der Skandalgeschichten der Cabots. Bevor er den Titel erbte, begegnete ihr Vater auf einer Reise durch Spanien einem einfachen Mädchen, verliebte sich in sie und heiratete sie gegen alle Widerstände seiner hochgestellten Familie. Die unstandesgemäße junge Frau wurde zwar nicht gerade mit offenen Armen in
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