Von sündiger Anmut: Roman (German Edition)
den englischen Adelskreisen aufgenommen, jedoch zumindest nicht völlig geschnitten. Trotzdem fühlte sie sich nie wirklich dazugehörig, und so zog sie es vor, sich lieber auf dem Landsitz in Cambridgeshire als in London aufzuhalten.
»Bitte entschuldigen Sie mich, Lord Thomas. Ich muss zu meiner Mutter, die sich den ganzen Tag schon nicht sonderlich gut fühlt.«
Er verbeugte sich wortlos, und sie machte einen eiligen Knicks. Natürlich würde er ihr die Abfuhr übel nehmen, aber sie konnte Peter nicht mit ihrer Mutter alleine lassen! Wer wusste schon, was ihm vielleicht herausrutschte?
Als Peter sich der Cabot-Familie näherte, hatte er mit widerstreitenden Gefühlen zu kämpfen. Der Kontakt war längst nicht mehr so eng wie früher – wenn sie in London weilten, erst recht nicht. Eine Ausnahme bildete Elizabeths Cousin Matthew Leland, dem er sowohl geschäftlich als auch privat verbunden war. Er und seine Frau nickten ihm freundlich zu, als sie sein Kommen bemerkten. Emily war eine klassische Schönheit mit hellblondem Haar und schlanker Figur, zu der er aus früheren Tagen eine besondere, wenngleich nicht unproblematische Beziehung hatte, weshalb er sich in ihrer Gegenwart immer etwas unbehaglich fühlte. Er kannte zu viele ihrer Geheimnisse, auch wenn er sie nie ausplaudern würde. Und sie wusste hoffentlich, dass er sein Schweigen dauerhaft wahren würde.
Wenngleich ihre blauen Augen ein bisschen größer wurden, als sie ihn entdeckte, schenkte sie ihm ein leichtes Lächeln und nahm ihm damit ein wenig von seiner Sorge.
»Euer Gnaden«, sagte Peter und verbeugte sich vor Elizabeths Mutter.
Die Herzoginwitwe war immer noch eine schöne Frau, durch deren tiefschwarzes Haar sich silberne Fäden zogen. Aufgrund ihres dunklen Teints und der ausgeprägten Nase erkannte man sie auf den ersten Blick als Südländerin. Elizabeth besaß zwar das ungewöhnliche Äußere ihrer Mutter, jedoch weniger ausgeprägt und weniger dunkel durch das englische Erbe, was eine rundum faszinierende Mischung ergab.
»Mr Derby, wie schön, Sie zu sehen«, erwiderte die verwitwete Duchess. Ihre Stimme hatte einen melodischen Klang mit leicht spanischem Akzent. »Meine Tochter hat mir von Ihrer Fortüne in letzter Zeit erzählt.«
»Ja, Madam, ich habe viel Glück gehabt.«
»Ich glaube nicht an Glück, junger Mann«, meinte sie. »Sie sind immer sehr fleißig und gewissenhaft gewesen, und das schätze ich wirklich.«
»Mama.« Von hinten wurde ein Ruf laut.
Alle drehten sich um und sahen, dass Elizabeth ihnen zuwinkte, während sie sich eilig zwischen tanzenden Pärchen und plaudernd herumstehenden Gästen hindurchschob.
Peter wusste auf Anhieb, was ihr Sorge bereitete, denn sie lächelte ihn viel zu demonstrativ an. Dachte sie etwa, er würde ihrer ganzen Familie von ihren Eskapaden erzählen? Sie sollte es besser wissen, denn schließlich waren ihre Geheimnisse bei ihm immer sicher gewesen.
Er nutzte den kurzen Moment, um ihre strahlende Erscheinung zu bewundern. Die mit Kerzen bestückten Kronleuchter ließen die winzigen Diamanten auf ihrem blassrosa Kleid glitzern, ihr dunkles Haar schimmerte, und ihr Blick war ganz sanft. Er kannte diesen Ausdruck, hatte beobachtet, wie sie ihn jedem einzelnen Familienmitglied schenkte und bisweilen auch guten Freunden wie ihm. Peter war dankbar für diese kleinen Zuwendungen gewesen und hatte sich damit begnügt.
Aber jetzt reichte ihm das nicht mehr.
Als Elizabeth sich schließlich zu ihnen gesellte, meinte ihre Mutter: »Gibt es einen Grund für solch undamenhafte Eile, mein Kind? Ich habe Mr Derby seit Monaten nicht mehr gesehen.«
Peter bedachte Elizabeth mit einem Lächeln. »Ich habe heute Nachmittag in Madingley House meine Aufwartung gemacht, Euer Gnaden. Lady Elizabeth war gerade dabei, viele junge Verehrer zu begrüßen.«
Mir nichts, dir nichts wandte sich die Duchess dem Lieblingsthema einer jeden Mutter zu und stieß einen leisen Seufzer aus. »Ich hätte die Einladung, mit meiner Freundin einkaufen zu gehen, nicht annehmen sollen.«
Unter ihren ausladenden Röcken trat Elizabeth ihm fest auf den Fuß. Fast hätte er dem Impuls nachgegeben, es genau wie in ihrer Kindheit zu tun, seinen Fuß zu heben und zuzuschauen, wie sie das Gleichgewicht verlor. Doch sie war kein Kind mehr. Zum Glück.
Sie winkte gleichgültig ab. »Es war völlig uninteressant, Mama.«
Ihre Mutter runzelte die Stirn. »Ich bin mir sicher, dass viele junge Damen nicht so darüber denken
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