Von sündiger Anmut: Roman (German Edition)
helfen? Vor ein paar Jahren noch mochten Sie mich schließlich ganz gerne.«
Sie gab einen unwilligen Laut von sich, sprang auf und beugte sich über ihn. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und genoss den Anblick. Er fand sie ganz reizend in ihrer Wut, und zudem lernte er gerade eine neue Seite an ihr kennen.
»Mr Derby, ich fasse es nicht, dass Sie mich in dieser Weise behandeln!«
Er grinste sie aus halb geschlossenen Augen an, während er sie musterte. »Lady Elizabeth, und ich fasse es nicht, dass Sie meinen, in besonderer Weise behandelt werden zu müssen, wenn man bedenkt, was Sie getan haben. Wenn das Ihr Bruder wüsste…«
»Christopher befindet sich zurzeit in Schottland auf der Jagd, wie Sie sehr wohl wissen.«
»Oh, das kommt Ihnen ebenfalls gelegen, nicht wahr? Kein Bruder, der sich fragt, warum Sie sich plötzlich nicht wohl in Ihrer Haut fühlen.«
»Ich fühle mich nicht …«
»Kein Bruder, der Sie dabei erwischt, wie Sie in Jungensachen herumschleichen.«
»Nein, dafür habe ich ja euch drei.«
Schlagartig verschwand sein Lächeln. »Ich bin nicht dein Bruder«, sagte er und fiel in die alte, vertraute Anrede zurück, die sie bei offizielleren Anlässen, zu denen auch ein formeller Besuch wie dieser zählte, mieden.
»Das weiß ich.« Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Aber du warst immer da, wenn ich Hilfe brauchte. Als ich dich gestern Abend sah, war ich genau genommen erleichtert.«
»Lügnerin, du warst total verlegen.«
»Das auch! Aber ich dachte oder hoffte zumindest, dass …«
»Dass ich wieder einmal zu deiner Rettung herbeieilen würde? Ich hatte eigentlich angenommen, dass du mich dafür nicht mehr brauchen würdest und dich zu einer sittsamen, wohlerzogenen jungen Dame entwickelt hast.«
Sie musterte ihn mit ausdrucksloser Miene. »Du hast dich verändert, Peter. In diesem letzten Jahr ist irgendetwas passiert.«
Weder zuckte er zusammen, noch gab er in irgendeiner Weise zu verstehen, dass sie recht haben könnte. »Du irrst dich. Allerdings hast du, Elizabeth, nur so getan, als hättest du dich verändert.«
Was immer sie in seinem Gesicht sah, ließ sie plötzlich zurückweichen und auf die Doppeltür zustürzen. »Du findest selbst nach draußen.«
»Wir sehen uns heute Abend.«
Sie blieb stehen und schaute über die Schulter zurück. »Was ist heute Abend?«
»Der Ball bei Lady Brumley. Du reservierst doch ein oder zwei Tänze für mich, ja?«
Sie stöhnte nur und ließ ihn stehen. Langsam kehrte das Lächeln in Peters Gesicht zurück.
Elizabeth gelang es einfach nicht, die Verkrampfung in ihrem Kiefer zu lösen. Sie marschierte durch die Eingangshalle, blind für die Marmorsäulen, die anmutige Schönheit der geschwungenen Doppeltreppe, die sich über drei Stockwerke nach oben zog, oder die ländlichen Szenen der Wandgemälde. Sie konzentrierte sich ausschließlich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen und darauf zu hoffen, dass ihre Wut – und ihre Angst – irgendwie nachlassen würden.
Peter Derby war überzeugt, dass sie der Akt war. Eine schockierende Erkenntnis für Elizabeth, denn dass der Freund aus Kindertagen sie sich so vorstellte, schien irgendwie undenkbar.
Seine Familie lebte in der Nachbarschaft, und so kannten sich die Kinder trotz der unterschiedlichen Herkunft. Die einen Sprösslinge aus herzoglichem Haus, die anderen aus niederem Landadel stammend, wobei Peter zudem der jüngere Sohn war und nicht einmal der künftige Squire sein würde. Aber er war für sie ein treuer Gefährte gewesen und hatte ihre zahlreichen Streiche gedeckt und manchmal die Schuld auf sich genommen. Mit dem Ende der Kinderzeit jedoch trennten sich ihre Wege schon aufgrund der gesellschaftlichen Distanz, obgleich das Gefühl einer freundschaftlichen Verbundenheit bestehen blieb.
Und jetzt das Gemälde, das er offenbar als logische Fortsetzung ihrer früheren Eskapaden betrachtete, mit denen sie ihre Familie bisweilen recht unglücklich gemacht hatte. Am liebsten wäre sie im Boden versunken, weil er sie mit so viel Nacktheit in Verbindung brachte.
Sie konnte sich noch genau an den Augenblick erinnern, als sie, Susanna und Rebecca gestern Abend in den dunklen Salon zu dem Gemälde geschlichen waren. Sie hatten mit dem Gedanken gespielt, es zu stehlen, und sogar versucht, es herunterzuheben, bevor sie von den drei Männern ertappt wurden, diesen arroganten Kerlen, die Peter seine Freunde nannte. Sie hatte ihm nicht in die Augen schauen wollen, aber
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