Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)
Leben eingebunden sind, kaum nutzbar, und ihre geheime Übertragung hätte ohne die beherzten Frauen und Männer in den dafür unerlässlichen monate- bis jahrelangen Zurückziehungen, die die tibetische Wirtschaftsform ermöglichte, nicht überlebt.
Grundsätzlich sollte man keine Geheimlehren, auch nicht die anderer Schulen, ohne Erlaubnis, Anleitung und einen geschützten Rahmen üben. Das kann nach erfolglosen Versuchen einen verwundeten Stolz hervorbringen und in zukünftigen Leben den Zugang auch zu allen anderen Übertragungen sehr erschweren.
Das Phowa, die abschließende Übung der Sechs Lehren Naropas, ist für die heutige Welt – einen fähigen Lehrer mit voller Übertragung vorausgesetzt – allerdings eine Ausnahme. Es ist die sinnvollste Weise, sich auf den Augenblick des Todes vorzubereiten, und diese Übung kann in wenigen Tagen ohne jahrelange Vorbereitung erlernt werden.
Auf dem Großen Weg festigt man den Geist durch starke gute Wünsche für alle Wesen oder verweilt in dem Verständnis – und, noch besser, der Erfahrung – der gegenseitigen Bedingtheit aller Erscheinungen und ihrer Leerheit von Eigennatur. Durch die aufbauende Phase der Meditationen im Diamantweg entsteht mit Hilfe von Einweihung oder geleiteter Meditation durch Offenheit und Vertrauen ein entspannter, aber zugleich wacher und klarer Zustand. Hier erfährt der Geist in der Vergegenwärtigung der Buddhaformen aus Licht und Energie, die seine innewohnenden Fähigkeiten widerspiegeln, seine Eigenschaften auf erleuchteter Ebene. Er erlebt sie als wirklich und oft als umwerfend, weil die Erfahrung vom Geist selbst all das überstrahlt, was an Eindrücken in ihm kommt und geht.
Meditation während des Sterbens angewendet bedeutet, von seinem aufgewühlten Geist nicht mitgerissen zu werden. So findet man selbst in dieser wahrscheinlich erlebnisreichsten Zeit seines Lebens immer wieder den Überblick und kann auf dieser Grundlage gute Einflüsse empfangen und alle Mittel nutzen, um so bestmöglich durch den Tod zu kommen. Deshalb ist es sehr lohnend, Geistesübungen frühzeitig zur Gewohnheit werden zu lassen, aber eben geübt und gekonnt. Das gibt dem Sterbenden im gesamten Sterbeprozess den nötigen Halt, lässt Schmerzen besser ertragen und Ängste und Anhaftungen auflösen.
Die zunehmende Erfahrung des Erlebers von seiner Einsicht, von Mitgefühl und Weisheit – und im Guru-Yoga zudem von der Wonne und Dankbarkeit beim Verschmelzen mit dem erleuchteten Gegenüber – lässt beim Auflösen aller Formen in den zeitlosen, uferlosen, aber alles wahrnehmenden Raum ein tiefes Gewahrsein entstehen. Diese unmittelbare und letztendlich uferlose Einsicht wird als Vipashyana (sanskr.) oder Lhaktong (tib.) bezeichnet. Hat man diese fortgeschrittene Übung verwirklicht, schaut man im Tod in das Klare Licht und fühlt sich zu Hause (vgl. Kapitel »Der entscheidende Augenblick«).
Die Vorbereitung auf den Tod
M an erlebt tagtäglich und überall, dass alles Zusammengesetzte vergänglich ist. Was eben noch lebte, ist vielleicht jetzt schon tot, und was heute erscheint, kann morgen schon verschwunden sein. Auch wenn sich verbrauchte Zellen hoffentlich noch lange erneuern, stirbt jeder rund um die Uhr ein bisschen. Der Verlust von Geliebten, Eltern, Geschwistern, guten Freunden oder der eigenen Gesundheit sowie große äußere Veränderungen bei Naturkatastrophen oder im Wirtschaftsleben zeigen ständig auf diese Vergänglichkeit. Das Leben hat mit Sicherheit ein Ende, doch der Verstand will davon nichts wissen und hofft weiter auf Fortbestand, auf Unsterblichkeit. Obwohl offensichtlich jedes Wesen eines Tages sterben wird und man ansonsten fast alles verstehen kann, weigern sich viele gekonnt und oft bis zum Lebensende, diese Tatsache anzunehmen. Die Sehnsucht nach Sicherheit und Unsterblichkeit ist eine sehr starke Neigung des Menschen, und vor allem in Kulturen, die den Tod ausblenden, erhöht sich der Druck, sich ans Leben zu klammern. Versteht man jedoch, dass das Einzige, das zeitlos bleibt, der Reichtum der eigenen Buddhanatur ist, kann man sich auch im Hinblick auf den Tod entspannen.
Was der Sterbende zu bedenken hat, besang Milarepa, der große Verwirklicher Tibets, vor 900 Jahren immer wieder. Mit lebensnahen Beispielen, meistens aus der Natur in seiner unmittelbaren Umgebung im Himalaja, brachte er seinen Schülern die Vergänglichkeit aller Erscheinungen nahe. Er zeigte das Veränderliche der äußeren Welt sowie das
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