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Von Traeumen entfuehrt (eShort)

Von Traeumen entfuehrt (eShort)

Titel: Von Traeumen entfuehrt (eShort) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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vom Fluss bis zur Rue Saint-Denis zu patrouillieren, bin ich gleich dabei. Vincent zum Mitkommen zu überreden ist nicht gerade schwer, weil er in Gedanken an die Amerikanerin schwelgt, der er vor zwei Tagen mal wieder begegnet ist. Das kann man ihm sehr gut ansehen, er hat dann nämlich so ziemlich das bescheuertste Grinsen im Gesicht.
    Zunächst statten wir meinem Atelier einen Besuch ab, wo ich den beiden ein paar Zeichnungen zeige, an denen ich gerade arbeite. Danach laufen wir im Zickzack durch das Viertel. Erst die Rue des Rosiers hinunter durch das jüdische Viertel, dann die Rue Vieille du Temple hinauf, mit all den schicken Läden, Restaurants und Bars, bis auf die Rue des Francs-Bourgeois mit ihren aneinandergereihten wunderschönen Herrenhäusern aus dem sechzehnten Jahrhundert, in denen sich immer mal wieder vereinzelte Klamotten- und Kosmetikläden befinden.
    Dann geht’s weiter Richtung Norden, wo die Gegend zwielichtiger wird, ganz besonders schlimm ist es in der Rue Saint-Denis, wo unsere Feinde erfolgreich zahlreiche Striplokale betreiben. Als wir am Musée Picasso vorbeikommen, sagt Vincent: »Nein danke, kein Interesse.«
    »Was wollte Ambrose denn?«, frage ich.
    Ich habe Vin bloß gefragt, ob er Lust hat auf eine kleine Lektion zum Thema Kubismus , sagt Ambrose nun zu mir.
    Unter normalen Umständen würde auch ich ablehnen. Ich habe jedes Gemälde da drin sicher Abermillionen Mal gesehen. Ein paar sogar noch bevor die Farbe getrocknet war, Pablos Atelier lag schließlich am anderen Ende des Flurs von meinem im Bateau-Lavoir. Aber in der letzten Zeit habe ich oft über die Pinselführung bei einem seiner ersten Selbstportraits nachgedacht, das meinen eigenen Werken verdächtig ähnlich sieht. Ganz ehrlich, ich hätte nichts dagegen, mir das mal aus der Nähe anzusehen.
    Kurz darauf sind wir im Museum und stehen vor einem von Pablos Stillleben aus seiner Phase des Analytischen Kubismus. Typisches Bild: Tisch mit Zeitung und Flasche.
    Für mich ist das ja nichts als ein einziges Durcheinander , sagt Ambrose.
    »Dann schau mal genau hin. Er nimmt einfach nur jeden einzelnen Gegenstand – die Zeitung, die Flasche, das Glas«, ich deute nacheinander darauf, »macht daraus eine zweidimensionale Form, fügt alle drei aber neu zusammen. Das ist wirklich genial, allerdings war das gar nicht seine Idee. Die Idee stammt von Georges Braque. Die beiden hatten so etwas wie einen Wettstreit mit der Losung: Mal sehen, wie kubistisch wir werden können. Sie haben es so weit getrieben, dass irgendwann nur noch Splitter von Objekten auf den Leinwänden zu sehen waren, die man keinem Gegenstand mehr zuordnen konnte. Aber hat Pablo je eingestanden, dass ursprünglich Georges die Idee dazu hatte? Natürlich nicht. Er war ja nicht umsonst ein narzisstischer Megalomane.«
    »Nicht hinsehen«, sagt Vincent.
    »Was willst du mir denn jetzt damit sagen? Man erkennt doch erst durch genaustes Hinsehen, dass ich recht habe und …«
    »Du sollst dich nicht umsehen«, sagt Vincent.
    Weshalb ich genau das tue. Und schon fällt mein Blick auf sie: Das nicht-mehr-ganz-so-traurige Mädchen sitzt vor einem von Pablos abstrakten Gemälden und wirkt total entrückt. Ich kann es nicht fassen.
    Und dann plötzlich doch. »Na, das ist ja ein mordsmäßiger Zufall, Ambrose«, murmle ich. »Da schlägst du mal einen kleinen Exkurs in den Kubismus vor und dann sitzt ausgerechnet Vincents Objekt der Begierde genau in diesem Teil des Musée Picasso. Super gemacht.«
    Ambrose kichert, ein klares Schuldeingeständnis. »Das ist keine Hilfe, Ambrose«, grummle ich. »Ganz im Gegenteil.«
    Vincent scheint da anderer Meinung zu sein , antwortet er.
    Ich wende mich an Vincent. »Sprich sie bloß nicht an. Ich warne dich. Das ist wirklich das letzte, was du jetzt noch brauchst. Du bist schon viel zu sehr in sie verschossen, das würde niemals bei einem One-Night-Stand bleiben. Und du kannst einfach keine Beziehung mit einer Sterblichen eingehen, Vincent. Tu einfach so, als hättest du sie nicht gesehen und dann verschwinden wir so schnell wie möglich von hier. Schau, sie hat den Kopf gesenkt, sie wird dich nicht mal bemerken.«
    Aber Vincent steht einfach da. Wie hypnotisiert.
    »Ich werde in fünf Sekunden gehen, Vince, und du kommst gefälligst mit. Vier. Drei. Zwei. Dann musst du da halt allein durch.« Ich rausche hinaus. Auf gar keinen Fall will ich dabei zusehen, wie er die Sache vor die Wand fährt.
    Ich spüre, dass Ambrose mir folgt.

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