Von Traeumen entfuehrt (eShort)
»Ich warne dich«, sage ich zu ihm. »Das zahle ich dir heim, wenn du mich das nächste Mal bittest, dich volant zum Pferderennen zu begleiten. Das wird deine bitterste und längste Pechsträhne, mein Freund.«
Ach, komm. Ein bisschen Ablenkung schadet Vincent nicht , sagt er. Der hatte schon ewig kein Mädchen mehr.
»Aber es gibt einen ziemlichen Unterschied zwischen einem Mädchen und just diesem Mädchen. Vincent ist doch schon jetzt wie besessen von ihr, das heißt, er wird sich Hals über Kopf in sie verlieben. So richtig. Und dann haben wir einen zweiten Charles an der Backe, der uns, verbittert über sein Schicksal als Revenant, mit seinen Wutausbrüchen jeden Tag zur Hölle macht.«
Aber Geneviève …, setzt Ambrose an.
»Geneviève war schon zu Lebzeiten mit ihrem Mann verheiratet. Noch bevor sie gestorben und als Revenant auferstanden ist. Das ist doch ein ganz anderer Fall. Aber wo wir gerade beim Thema sind: Schmachtest du sie eigentlich immer noch an und kannst es nicht erwarten, dass Philippe stirbt?«
Hey, ich mag Philippe , entgegnet Ambrose. Er ist gut zu Geneviève.
»Du willst trotzdem, dass er stirbt.«
Es muss ja nicht sofort passieren. Aber irgendwann wird er de facto sterben. Der Typ ist schließlich schon steinalt. Und dann muss ich bereit sein.
»Das ist ganz schön verkorkst«, sage ich. Ein Mann vom Sicherheitspersonal beobachtet mich. In seinen Augen führe ich ja Selbstgespräche, während ich das Museum verlasse. Wahrscheinlich hält er mich für einen dieser Irren, die am liebsten herkommen und Farbe über Pablos Gemälde kippen würden. Wobei das in manchen Fällen eine deutliche Verbesserung wäre.
Kapitel 5
I ch bereite die Palette vor: Eine Mischung aus Zink, Elfenbein und Monteserrat Orange für ihre zart gebräunte Haut, Van-Dyck-Braun für ihr langes, dichtes Haar, Venezianisches Rot für ihre vollen Lippen und Schwarz für ihre nachdenklichen Augen.
Valérie liegt in meinem Atelier auf dem antiken grünen Sofa wie Gott sie schuf. Ich stehe ein paar Meter von ihr entfernt am Fenster, damit natürliches Licht auf die Leinwand fällt.
Ich male sie als liegenden Akt, im Stile Modiglianis. Der Kerl fehlt mir ehrlich gesagt, obwohl er völlig unerträglich war. Immer betrunken oder bekifft und auf der Suche nach Streit. Hat die ungeheuerlichsten Sachen gemacht, damit niemand mitbekommt, dass er Tuberkulose hat und ihn dann meidet wie … na ja, wie die Pest eben.
Einmal waren wir in einer Bar in der Nähe des Bateau-Lavoire, in der er einen Striptease vor ein paar Damen in einem gewissen Alter‘ hinlegte. Hat sich sogar noch das letzte Kleidungsstück vom Leib gerissen. Die armen Kaffeetanten bekamen fast einen Herzinfarkt. »Geschieht denen ganz recht, was wollen die überhaupt in Montmartre?«, hatte er den Polizisten gefragt, der kurz darauf aufgetaucht war. Das waren wilde Zeiten, und er war der Wildeste von uns allen. Aber kaum hattest du ihm einen Pinsel in die Hand gedrückt, hat er gemalt wie niemand je zuvor – und nie jemand nach ihm. Eine Gabe, geschenkt von den Engeln. Gesegnet von Gott. Und beflügelt vom Teufel.
Mit einem einzigen geschwungenen Pinselstrich übertrage ich Valéries kurvige Kontur von der Schulter bis zum Fuß auf die Leinwand. Sie liest ein Taschenbuch und langweilt sich offensichtlich. Aufschauen muss sie erst ganz am Ende einer solchen Komposition, wenn ich ihr Gesicht male, weshalb es mir nichts ausmacht, dass sie bis dahin schmökert. »Wie wär’s mit einer Pause?«, frage ich, woraufhin sie aufsteht. Ihr weicher, wohlgeformter Körper ist so makellos wie der der Venus von Milo, so frisch wie ein reifer Pfirsich.
Ich bekomme nie genug vom Anblick der Frauen. Von ihrer Schönheit. Berausche mich fast am Charme jeder einzelnen, denn jede hat ihren ganz eigenen. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt. Und am verlockendsten sind diejenigen, die ich nicht haben kann, wie Valérie zum Beispiel. Denn Arbeit und Vergnügen sollte man nie mischen. Und das hat nicht nur mit unserer Sicherheit zu tun. (Geliebte sind in unseren Wohnungen und Häusern strengstens verboten.) Ehrlich gesagt hab ich das auf die harte Tour lernen müssen. Es braucht nie mehr als eine unglückliche Begegnung. Ein Model muss nur ein anderes sehen, das in einer anzüglichen Pose abgebildet wurde und voilà, schon hast du einen Zickenkrieg mitten in deiner Kunstausstellung.
Valérie schnappt sich einen Morgenmantel, schlingt ihn träge um sich und legt sich dann
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