Von wegen Liebe (German Edition)
einziges Wort darüber. Sollte ich mich genauso verhalten und einfach so tun, als wäre nichts?
Dabei hätte ich ihn am liebsten angefleht, damit aufzuhören. Ich wollte ihm sagen, dass es so nicht weitergehen konnte. Aber wie? Wie überzeugt eine Siebzehnjährige ihren Vater davon, dass sie besser weiß, was gut für ihn ist? Wenn ich versuchte, ihn davon abzuhalten, fühlte er sich vielleicht in die Ecke gedrängt. Womöglich dachte er dann, dass ich mich auch gegen ihn stellte, und würde böse auf mich werden.
Da Dad mit dem Trinken aufgehört hatte, bevor ich geboren worden war, wusste ich nicht wirklich viel über die Zeit, in der er trocken wurde. Er hatte wohl damals einen Mentor gehabt – ein trockener Alkoholiker, der andere Betroffene begleitete und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stand –, dem Mom an Weihnachten immer eine Karte schickte, als ich noch klein war. Ich hätte gern Kontakt mit diesem Mentor aufgenommen, er wäre bestimmt genau der Mensch gewesen, den mein Vater jetzt brauchte. Aber Dad darauf anzusprechen traute ich mich nicht, Mom konnte ich auch nicht fragen, und ihn auf eigene Faust ausfindig zu machen war ebenfalls sinnlos, weil ich viel zu wenig über diesen Mann wusste.
Ich fühlte mich schwach und nutzlos und vor allem schämte ich mich. Es lag in meiner Verantwortung, etwas zu tun, jetzt wo Mom fort war. Ich hatte nur keine Ahnung, was.
Deswegen ging ich Dad in der Zeit, nachdem Mom zu Großvater nach Tennessee gezogen war, aus dem Weg, wenn ich zu Hause war. Ich hatte ihn noch nie betrunken erlebt und wollte es auch jetzt nicht. Ich wollte nicht erleben, wie er cholerisch und ausfallend wurde. Davon abgesehen, dass ich mir meinen Vater so einfach nicht vorstellen konnte, verspürte ich auch keinerlei Bedürfnis, so bald mit diesem Teil von ihm Bekanntschaft zu machen. Also verzog ich mich die meiste Zeit in mein Zimmer und er sich in seines.
Ich redete mir einfach weiterhin ein, dass es vorbeigehen würde. Bis dahin würde ich sein Geheimnis für mich behalten. Mom schöpfte zum Glück nie Verdacht, wenn ich ihr am Telefon erzählte, dass alles in bester Ordnung war, was in Anbetracht meiner nicht vorhandenen schauspielerischen Fähigkeiten an ein kleines Wunder grenzte.
Nur einem Menschen würde ich auf Dauer nichts vormachen können, und das war Casey. Also vermied ich die Begegnung mit ihr, so gut ich konnte, ignorierte ihre Anrufe und erfand irgendwelche Ausreden, wenn sie mich in der Schule fragte, ob ich Zeit hätte, etwas mit ihr zu unternehmen. Ich hatte mich auch nie wegen des Abends im Nest bei ihr gemeldet, wie wir es auf der Mädchentoilette ausgemacht hatten. Ich war mir sicher, dass sie mich bei der ersten Gelegenheit, in der sie mich allein zwischen die Finger bekam, mit Fragen bombardieren würde, warum ich ständig versuchte, die arme ahnungslose Jess als Puffer zu benutzen. Aber nach ungefähr einer Woche beschlich mich plötzlich das merkwürdige Gefühl, dass Casey mir aus dem Weg ging.
Sie rief immer seltener an.
Sie hörte auf zu fragen, ob ich mit ins Nest kam.
Sie tauschte sogar ihren Platz mit Jeanine in der Cafeteria, sodass sie am anderen Ende des Tischs saß – so weit weg von mir wie möglich –, und ein- oder zweimal ertappte ich sie dabei, wie sie mir böse Blicke zuwarf.
Einerseits verletzte es mich, obwohl ich wusste, dass sie zu Recht sauer auf mich war, andererseits war ich froh, dass sie mich nicht zur Rede stellte, weil es mir so erspart blieb, ihr das mit Dad erzählen zu müssen. Ich wusste nämlich, dass ich es nicht geschafft hätte, sie in diesem Punkt anzulügen, war aber nach wie vor fest entschlossen, die traurige Wahrheit für mich zu behalten.
Mir blieb also erst einmal nichts anderes übrig, als ohne meine beste Freundin klarzukommen.
Und das schaffte ich nur, weil es Wesley gab. Ich weiß nicht, wie ich diese Wochen sonst überstanden hätte. Sosehr ich auch über mich selbst schockiert war, ich brauchte diese Fluchten jetzt mehr denn je, und meine Droge war immer nur eine kurze Autofahrt entfernt. Drei, vier »Dröhnungen« die Woche reichten, um mich nicht durchdrehen zu lassen.
Ich war wie ein Junkie, der regelmäßig seinen Schuss brauchte.
»Was würdest du nur ohne mich machen?«, fragte er mich eines Abends. Wir lagen in den zerwühlten Seidenlaken seines gigantischen Betts und waren noch ein bisschen atemlos von dem, was wir gerade getan hatten.
»Ein glückliches … glückliches Leben führen«, murmelte
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