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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Erfahrungen, für grundfalsch und bin der Meinung, daß mir jeder beliebige Durchschnittsengländer ein verwendbareres Englisch beibringt als ein grammatisch geschulter Deutscher. Und damals, wo noch alle die Hülfen fehlten, die jetzt da sind, galt das noch viel mehr als heute.
    Methfessels eigentliche Stärke lag denn auch weniger nach der wissenschaftlichen als nach der pädagogischen Seite hin. Er hatte die »Methode« weg, wußte, wie man's machen müsse. Was davon Diesterwegisch war, war auch gewiß vortrefflich, was aber Methfesselisch war, war wohl oft fraglich. Eine Geschichte, auf die es mir hier recht eigentlich ankommt, soll denn auch, zur Erhärtung dieser Fraglichkeit, den Schluß bilden.
    Zu Methfessels amtlichen Obliegenheiten gehörten auch Inspektionen, darunter als Feinstes Inspektionen höherer Töchterschulen. Eine dieser Töchterschulen, zugleich mit einem vornehmen Pensionate verbunden, war ihm schon längst ein Dorn im Auge. Vielleicht, daß er das eine oder andere gehört hatte, was der Schul- und Pensionsvorsteherin, einer hübschen, stattlichen Dame, nachteilig war. Doch möchte ich dies andererseits bezweifeln, wenigstens die Berechtigung dazu; denn ich habe die Dame selbst noch sehr gut gekannt. Ich wohnte mit ihr in demselben Hause. Nun also, Methfessel kam, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschien in einer der oberen Klassen, und während der Unterricht seinen Verlauf nahm, ging er von Platz zu Platz und revidierte die Hefte. Gleich auf der zweiten Reihe saß eine fünfzehnjährige Blondine, reizendes Geschöpf; Methfessel durchblätterte das Diarium, kam bis auf die letzte Seite, warf einen flüchtigen Blick auf das wie mit Blut übergossene junge Ding und steckte das Heft in die Brusttasche. Den anderen Vormittag ließ er sich bei der Mutter melden, einer vornehmen, reichen Dame, selbst noch jung. Er erzählte, was nötig war, und überreichte dann das Heft. Die junge Frau – ihre verhältnismäßige Jugend mag es entschuldigen – ließ sich zu der Unwahrheit hinreißen, »daß sie
das,
was da stehe, nicht verstünde«, worauf Methfessel einen geordneten Rückzug antrat. Aber nicht, um die Sache dabei bewenden zu lassen. Es kam zwar zu keinem Eklat, trotzdem war ganz im stillen die Folge, daß die Schulvorsteherin, »weil sie nicht aufgepaßt«, an der erwähnten letzten Diariumsseite zugrunde ging. Sie starb in sehr beschränkten Verhältnissen. Die junge Blondine – und das ist das einzig Erfreuliche an der Sache – kam unangefochten darüber hin und ist längst glückliche Großmutter.
    So die Geschichte. War das Verfahren richtig? Ich, wenn ich Schulrat gewesen wäre, hätte nach der Schulstunde zu dem armen, in seiner Scham und Todesangst genugsam abgestraften jungen Dinge gesagt: »Mein liebes Fräulein, wir wollen das zerreißen; das gehört nicht in Ihre Phantasie, noch weniger in Ihr Diarium.« Und damit, meine ich, wäre es genug gewesen. Ich unterbreite die Geschichte nach Ablauf von mehr als vierzig Jahren dem Urteil der Pädagogen und denke, sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: Methfessel, soweit diese Geschichte mitspricht, war ein Doktrinär und kein Menschenkenner. Oder aber – er
wollte
keiner sein.
    Ich fürchte beinahe das letztere.
     
Sechstes Kapitel
     
Louis Schneider Hofschauspieler, Geheimer Hofrat, Vorleser Friedrich Wilhelms IV.
    Louis Schneider
war der, den es sich wohl eigentlich geziemt hätte, diesen Porträtskizzen voranzustellen, denn wenn er nicht wie Saphir und Lemm zu den unmittelbaren Tunnel-Gründern gehörte, so war er doch jedenfalls unter den ersten Mitgliedern des Vereins und hing an ihm, durch ein halbes Jahrhundert, in immer gleicher Treue. Bis zum 18. März – von wo ab sich dann die Dinge freilich änderten – war es
sein
Verein, in dem
seine
Geschmacksrichtung und
seine
Gedankenwelt herrschte, trotzdem es nicht an Gegnern fehlte, die diese »Gedankenwelt« belächelten, ja, sie überhaupt nicht als eine Gedankenwelt gelten ließen. Im ganzen aber durfte bis zu genannter Zeit – 18. März – gesagt werden: »Schneider ist der Tunnel, und der Tunnel ist Schneider.« Beide, Schneider und der Tunnel, waren im wesentlichen liberal mit
Anlehnung an Rußland.
Also eigentlich ein Unding. Aber so gingen die Dinge damals, und wenn man gerecht sein will, begegnet man ähnlich Widersprechendem auch heute noch. Es geht viel unter einen Hut.
    Schneider hieß im Tunnel »Campe der Caraïbe«, und so bedeutungslos im allgemeinen alle diese

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