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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Leben vorgekommen sind. Ich habe ihn ziemlich gut gekannt, fünfzehn Jahre lang in unserem Verein und dann zehn Jahre lang auf der Kreuzzeitung, wo ich ihn allwöchentlich wenigstens einmal sah; aber ich kann nicht sagen, daß ich ihn je auf einem faulen Pferde ertappt hätte. Im Gegenteil, er war ehrlicher und konsequenter als seine soi-disant »Freunde«, die sich ziemlich unberechtigt über ihn erhoben. Überhaupt konnte man im Tunnel, wie überall in der Welt, die Mißlichkeit des landläufigen Urteils studieren. Wie mit Blindheit geschlagen waren oft die Klügsten; höchst fragwürdige Charaktere wurden gefeiert, während viel Tüchtigere sich mit Soupçon behandelt sahn. Es ist unglaublich, wie leicht selbst Scharfsichtige von Fach, zum Beispiel Kriminalisten und Weltweise, durch Manieren und gefälliges Komödienspiel bestochen werden können. Im ganzen genommen existiert bei den Menschen eine so hochgradige Unfähigkeit, den Seelen anderer auf den Grund zu sehen, daß sich dies Hochgradige nur aus einer gewissen Unlust, »sich auf irgendwie ernste Untersuchungen einzulassen«, erklären läßt. Die meisten nehmen, solange sich's einigermaßen mit ihrem Vorteil verträgt, alles so, wie's bequem zugänglich obenauf liegt. Genauso war es mit dem Tunnel-Urteil über Schneider. Ich glaube nicht, daß jemand da war, der sich ernstlich mit seiner Wertfrage beschäftigt hätte. Man redete darauf los, von Voreingenommenheiten ausgehend. Es soll nicht geleugnet werden, Schneider war ein ungeheurer Faiseur, immer mußte was »gemacht«, versammelt, zusammengetrommelt werden. Wer ihn gekannt, weiß das. Es gab damals ein Lustspiel »Er mengt sich in alles«, dessen komische Hauptfigur den Namen Mengler führte. Solch Mengler war er. Aber wenn dies auch gelegentlich störend wirkte, soviel bleibt: er war ein wohlmeinender Mann, und alle Verketzerung, der er immer wieder und wieder begegnete, lief darauf hinaus, »daß er das Heil Preußens ausschließlich in einem innigen Bündnis mit Rußland erkenne«. Sein Leben, wenn wir Frankreich statt Rußland setzen, erinnert an das Lombards. Lombard war klüger, Schneider ehrlicher und überzeugter.
    In einer Schrift, die den Titel führt »
Berlin und Petersburg
«, finde ich das Folgende:
    »... Louis Schneider – dessen viel patronisierter ›Soldatenfreund‹ wesentlich dazu beigetragen hatte, daß ein Teil des preußischen Offizierkorps seine Ehre darin sah, sich als russische Avantgarde zu fühlen und in den Tagen schärfster Diskrepanz zwischen deutschen und russischen Interessen die moralische Unentbehrlichkeit der russischen Allianz zu predigen – Louis Schneider ließ sich im Jahre 1848, unter dem Titel eines Mitarbeiters, für die in Rußland selbst nur mit Ekel und Verachtung genannte ›Nordische Biene‹ zum Leibkorrespondenten des Kaisers Nikolaus anwerben ... Gewohnt, die russische Obergewalt als naturgemäßes Verhältnis zu behandeln, sah Schneider in dem russischen Monarchen lediglich den ›europäischen Rennebohm‹ der bekannten Berliner Eckensteher-Anekdote, jenen alles regulierenden Hausherrn also, der sowohl Schulzen wie Lehmann aus seiner Bierstube weist, weil sie sich gegenseitig Ohrfeigen stechen wollen ... Den Tag, an welchem die Kunde von dem Tode des Kaisers am preußischen Hofe eintraf, zählte Schneider zu den traurigsten seines Lebens, und die von ihm in den Spalten des ›Soldatenfreundes‹ angestimmte Totenklage um den kaiserlichen Gönner war – neben dem bekannten, aus der Feder des ostpreußischen Generalsuperintendenten Sartorius stammenden Kreuzzeitungs-Artikel ›Ein Mann ist gestorben‹ – die pathetischste, die überhaupt vernehmbar wurde. Aus der Hand des Prinzen Karl empfing Schneider einige Wochen später eine von einunddreißig russischen Generaladjutanten, Suiteoffizieren und Flügeladjutanten unterzeichnete Adresse, in welcher diese Herren ihm ihren allerinnigsten und aufrichtigsten Dank für das Bild abstatteten, das er in seinem Blatte von ihrem unvergeßlichen Kaiser entworfen habe ... Wie Schneider dachte die sämtliche Partei der Leute, denen die Partei über das Vaterland, das scheinbare Interesse der Krone über das wahre und dauernde Interesse des Staates ging. In dem Berlin der letzten vierziger und ersten fünfziger Jahre ist es ein öffentliches Geheimnis gewesen, daß die Fraktion, welche sich die ›konservative‹ nannte, ihre Parole an den Vorabenden wichtiger Entscheidungen fast regelmäßig aus dem

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