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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Tunnel-Beinamen waren, so war doch hier ein Ausnahmefall gegeben. Das ganze Schneidersche Wesen hätte nicht besser charakterisiert werden können. In seiner mit Trivialitäten ausgestatteten, breitprosaischen Väterlichkeit war er ganz der Robinson Crusoe-Campe, wenn er aber in ein mehr oder weniger erkünsteltes Feuer geriet und dabei die gewagtesten seiner Sätze durch immer neue Ungeheuerlichkeiten übertrumpfte, so war er ganz »Caraïbe«. Fähnrich Pistol soll eine seiner Glanzrollen gewesen sein, und Fähnrich Pistol und Caraïbe ist so ziemlich dasselbe, nämlich der bis ins Komische gesteigerte »wilde Mann«.
    Noch einmal: bis 48 war Schneider die
Seele
des Vereins. Von 48 ab aber war er nur noch die
Säule
desselben. Er trug den Tunnel noch, aber mehr äußerlich, es war nicht mehr dessen innerstes Leben. Es lag dies weniger an den sich ändernden politischen Verhältnissen als daran, daß mit einem Male ganz neue Personen auftraten, die zu Schneider, gleichviel nun, ob er seinen väterlichen Campe- oder seinen wilden Caraïben-Tag hatte, den Kopf schüttelten. Unter diesen Neuhinzugekommenen waren Kugler, Eggers, Heyse, Geibel, Storm; dazu – als Kritiker – so superiore Leute wie Dr. A. Widmann und H. von Orelli. Man braucht ihre Namen nur zu nennen, um sofort erkennen zu lassen, daß es mit diesen nicht ging. Er war ihnen einfach nicht gewachsen und fühlte seinen Stern erbleichen, griff aber, um diesen Prozeß zunächst wenigstens hinauszuschieben, zu dem bekannten Mittel des »Sich-Rarmachens«. Er konnte dies um so unauffälliger, als zwei Dinge: sein so ziemlich in dieselbe Zeit fallender Rücktritt vom Theater und sein neues, unmittelbar danach beginnendes Vorleseramt beim König, ohnehin zu seiner Übersiedlung von Berlin nach Potsdam geführt hatten. Dies seltenere Sichzeigen im Tunnel war aber nicht gleichbedeutend mit Interesselosigkeit, er blieb allen Gegnerschaften zum Trotz durchaus unverändert in seiner Anhänglichkeit, sah aber freilich die
Motive zu
diesem seinem Aushalten in einem fort verdächtigt, und zwar so sehr und noch dazu mit so geringer Begründung, daß ich zu dem Ausspruch gezwungen bin: nicht Schneider war in dieser nachachtundvierziger Zeit untreu gegen den Tunnel, sondern der Tunnel war untreu gegen Schneider. Vor allem auch undankbar. Denn Schneiders Interesse bezeugte sich,
nach
wie vor dem 18. März, in Taten. Er half. Diese Hülfe bestand in allerlei: in Einführungen, Empfehlungen, Aufforderung zur Mitarbeiterschaft an seinen Blättern und ähnlichem. Aber wenn diese Hülfen, die mitunter einer direkten Unterstützung gleichkamen, auch nicht gewesen wären, so verblieb für sein Kredit doch immer noch das eine, daß er den Tunnel sozusagen hoffähig machte. Was sich von den Dichtungen unserer Tunnel-Leute nur irgendwie zum Vorlesen an den Teeabenden in Sanssouci, Charlottenhof und Charlottenburg eignete, kam auch wirklich zum Vortrag. Unter denen, die dieser Ehre teilhaftig wurden, war auch ich, und zwar mit einem Romanzenzyklus, der den Gesamttitel »Von der schönen Rosamunde« führte. Weil sich's nun traf, daß diese meine Dichtung um genau dieselbe Zeit auch von dem an andrem Orte, in meinem Scherenberg-Buche, geschilderten Rhetor Schramm in Entreprise genommen wurde, so gingen mir in ein und derselben Woche zwei Zuschriften zu, darin ich von beiden gefeierten Vorlesern aufgefordert wurde, sie zu besuchen, da sie
das,
was sie zu geben gedächten, zunächst meinem Urteil unterbreiten wollten. Ich erschien denn auch. Bei Schramm fand die Probevorlesung in seiner Wohnung statt, bei Schneider in Meinhardts Hotel, Unter den Linden, wo er, wenn er nach Berlin herüberkam, abzusteigen pflegte. Beide lasen gleich schlecht, weil nach demselben falschen Prinzip, das in dem altehrwürdigen Gegensatz von Gebrüll und Gewisper wurzelte. Dabei kam es vor, daß Schneider eine ganz zweifellose Wisperstelle geradezu donnerte. Junge Dichter begehen nun gewöhnlich den Fehler, dergleichen korrigieren zu wollen, was bloß verschnupft. Darauf hab' ich mich aber nie eingelassen, fand vielmehr jederzeit alles wunderschön, weil ich, neben dem in erster Reihe stehenden Wunsche, kein Ärgernis zu geben, auch schon damals eine ziemlich richtige Vorstellung von dem hatte, was »Publikum« bedeutet. Die Geschichte von Garrick, der durch Vortrag des englischen Alphabets die Zuhörerschaft von Drury Lane hinriß und zu Tränen rührte, wiederholt sich cum grano salis tagtäglich.
    Es

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