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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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einem Gusse darstellt. Er war zu jeder Zeit derselbe, fast zu sehr. Ich habe vieles an ihm gesehen, was mir mißfallen hat, nichts aber, das ich als mißachtlich oder auch nur als zweideutig zu bezeichnen hätte. Seinen Geschmack geb' ich preis; ästhetisch war er sehr anfechtbar, moralisch bestand er.
    Wie sich denken läßt, zirkulierten im Tunnel allerhand Anekdoten über ihn, die sämtlich den Zweck verfolgten, entweder ihn politisch zu diskreditieren oder aber ihn als »komische Figur« zu ridikülisieren. Als im Sommer 49 Nikolaus nach Berlin kam, ließ er Schneider ins Palais rufen und äußerte sich über den traurigen Zustand, in den Preußen geraten sei. »Sehn Sie, Schneider,
richtige
Preußen gibt es überhaupt nur noch zwei: ich und Sie.« Ziemlich um dieselbe Zeit erschien eine den Kaiser Nikolaus als beschränkt, brutal und deutschfeindlich schildernde Broschüre. »Die müssen Sie lesen«, hieß es im Tunnel. Schneider aber antwortete: »Davor werd' ich mich hüten; dergleichen verwirrt bloß.« – Wie beim Kaiser, so war er auch bei der Kaiserin gut angeschrieben. Kam diese von Petersburg nach Potsdam auf längeren Besuch, so wurde Schneider zum Tee befohlen; die »ehemalige Prinzeß Charlotte« ließ sich so gern alte Berliner Geschichten erzählen. Einige Tunnelianer spöttelten darüber. Schneider zuckte die Achseln und sagte: »Ja, Kinder, in gewissem Sinne bin ich der richtige Byzantiner. Ich leugne nämlich nicht, daß, wenn es sich um Teeabende handelt und ich dabei die Wahl zwischen Frau Salzinspektor Krüger und der Kaiserin von Rußland habe, so bin ich immer für die Kaiserin von Rußland.« An Bonsens war Schneider all seinen Gegnern jederzeit sehr überlegen.
    Es konnte nicht ausbleiben, daß es bei den Teeabenden – auch bei den »königlichen«, die fast einen dienstlichen Charakter hatten – nicht immer ganz glatt ablief. Eines Tages erschien Schneider wieder mal in seiner Vorlesereigenschaft oben auf Sanssouci und sah sich im Vorzimmer ohne viel Entschuldigung benachrichtigt, »daß es heute nichts sei«, weil eine der Königin empfohlene vornehme Dame verschiedene Gesangspiecen vortragen werde. Schneider verbeugte sich, nahm seine Vorlesermappe ruhig wieder unter den Arm und verschwand. Aus dieser Geschichte wurde seitens der Tunnel-Liberalen eine große Sache gemacht; »da sähe man's – ein Mann von Ehre dürfe sich so nicht behandeln lassen.« Etwas Dümmeres ist kaum denkbar. Daß einem gesagt wird: »Hören Sie, heute können wir Sie nicht brauchen, heute geht es nicht«, – das passiert einem im Leben in einem fort, das muß sich der Beste gefallen lassen. Und nun gar in dienstlicher Stellung und bei Hofe! Sonderbar, die Menschen verlangen immer moralische Heldentaten, solange sie persönlich nicht »dran sind«. Alle die, die verächtlich von ihm sprachen, hätten sich bei Hofe viel, viel mehr gefallen lassen. Aber das wurde natürlich bestritten, und so kam es denn, daß man ihm Servilismus vorwarf, während doch seine ganze Haltung lediglich darauf hinauslief, daß er seinem König und nächst diesem – oder vielleicht auch über diesen hinaus – dem russischen Kaiserpaare eine Sonderstellung einräumte. Sonst war ihm »devotestes Ersterben« vor Hoch- und Höchststehenden etwas ganz Fremdes,
so
fremd, daß er sich umgekehrt – zum Beispiel im Gespräch über Prinzen – zu wahren Ungeheuerlichkeiten hinreißen ließ. Er ging darin so weit, daß er dem Potsdamer »Kasino«, darin er eine hervorragende Rolle spielte, durch seine niemand schonenden Zynismen gelegentlich recht unbequem wurde.
    Sein hervorstechender Zug war, in vollstem Gegensatz zu Kriechen und Bücklingmachen, ein großer persönlicher und moralischer Mut. Als sich 48 alles verkroch, er war da, nicht um in Halbheiten sich durchzuwinden, sondern immer voran und immer freiweg. So war es, als man ihm im Theater – er nahm nach jenem Abend einfach seinen Abschied – eine Niederlage bereiten wollte, so war es, als man ihm die Landwehrleute auf den Hals hetzte. Da hatte man sich aber in ihm und schließlich auch in den Landwehrleuten geirrt. Statt sich klein zu machen oder zu drücken, stieg er auf dem alten Posthof in der Spandauer Straße, wo man ihn umringt haben mochte, auf eine dort zufällig haltende Postkutsche, machte das Deck derselben zu seiner Kanzel und donnerte von da dermaßen herunter, daß alle die, die gekommen waren, ihn zu verhöhnen oder zu insultieren, ihn im Triumph durch die Straße

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