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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Kopfsteinpflaster stapfte und alle paar Sekunden »Hallo!« rief. Außerdem machte er eine Menge Lärm, wenn er mit seinen neuen Stiefeln polternd über die unbehauenen Steine ging.
    Die Stiefel waren sein ganzer Stolz – sie wiesen ihn endgültig als tierärztlichen Assistenten aus. Als ich angefangen hatte, ihn mitzunehmen, war seine erste Reaktion kindliche Freude gewesen, die Freude, Tiere sehen zu können, besonders junge Tiere – Lämmchen, Fohlen, Ferkel, Kälber –, und der Reiz der Entdeckung, wenn er etwa auf einen Wurf junger Katzen im Stroh stieß oder in einer verlassenen Stallbox eine Hündin mit ihren Jungen fand.
    Es dauerte jedoch nicht lange, da begann er seinen Horizont zu erweitern. Er wollte sich betätigen. Der Inhalt meines Kofferraums im Wagen war ihm bald ebenso vertraut wie der seiner Spielzeugkiste zu Haus, und es entzückte ihn, wenn er mir eine Dose Magenpulver, Latwerge, ein blasenziehendes Mittel, die weiße Salbe und einen Karton mit »Allgemeiner Rindermedizin« reichen konnte. Schließlich begann er loszulaufen, ehe ich noch etwas gesagt hatte, um Kalzium oder Ähnliches aus dem Wagen zu holen, sobald er eine liegende Kuh sah. Er war ein guter Diagnostiker geworden.
    Ich glaube, am meisten Spaß machte es ihm, wenn er mich bei abendlichen Besuchen begleiten durfte und Helen ihm erlaubte, später als sonst ins Bett zu gehen. Er fand es wunderbar, wenn wir im Dunkeln durchs Land fuhren, oder wenn er mir die Taschenlampe halten durfte, während ich einer Kuh eine Spritze gab.
    Die Bauern waren freundlich zu ihm. Selbst die verschlossensten brummten: »Ah, sieh an, Sie haben Ihren kleinen Gehilfen mitgebracht.«
    Und alle diese Bauern hatten etwas, was Jimmy sehnsüchtig begehrte: große, mit Nägeln beschlagene Stiefel. Er bewunderte die Bauern, diese starken, abgehärteten Männer, die ihr Leben im Freien verbrachten und sich furchtlos zwischen Herden drängender und schubsender Tiere bewegten oder riesigen Zugpferden einen Klaps aufs Hinterteil gaben. Ich sah, daß er tief beeindruckt war, wenn er sie beobachtete, wie sie mit dicken Strohballen die Leiter zum Speicher hinaufgingen oder wenn sie mühelos die Mäuler mächtiger junger Bullen umklammert hielten und nicht losließen, auch wenn ihre Stiefel über den Boden schlitterten, immer mit einer Zigarette im Mundwinkel.
    Es waren diese Stiefel, die es Jimmy am meisten angetan hatten. Robust und fest, wie sie waren, schienen sie für ihn die Stärke der Männer zu symbolisieren, die sie trugen.
    Das kam heraus, als wir uns eines Tages im Wagen unterhielten. Oder besser gesagt, mein Sohn brachte es zur Sprache – in Form eines wahren Sperrfeuers von Fragen, die ich nach bestem Vermögen zu beantworten versuchte, während ich über meinen nächsten Fall nachdachte. Er setzte seine Fragen so gut wie ohne Unterbrechung den ganzen Tag lang fort und folgte dabei einem ausgeklügelten System.
    »Welches ist der schnellste Zug – der Blaue Peter oder der Fliegende Schotte?«
    »Oh, das weiß ich nicht. Ich würde sagen der Blaue Peter.«
    Dann wagte er sich in tiefere Gewässer vor. »Ist der Gigantenzug schneller als ein Phantom-Rennwagen?«
    »Das ist eine schwierige Frage. Laß mich mal nachdenken... Ich würde sagen, der Phantom-Rennwagen ist schneller.«
    Jimmy änderte plötzlich den Kurs. »Das war aber ein großer Mann eben auf der letzten Farm, nicht?«
    »Ja, stimmt.«
    »Größer als Mr. Robinson?«
    Das war sein Lieblingsspiel, das »Großer-Mann-Spiel«, und ich wußte, wie es ausgehen würde, aber ich spielte meinen Part. »O ja, das war er.«
    »Größer als Mr. Leeming?«
    »Bestimmt.«
    »Größer als Mr. Kirkley?«
    »Ohne Zweifel.«
    Jimmy sah mich von der Seite her an, und ich wußte, daß er gleich seine zweite Trumpfkarte ausspielen würde. »War er größer als der Gasmann?«
    Der Riese von Mann, der nach Skeldale House kam, um die Gasuhr abzulesen, hatte meinen Sohn immer fasziniert, und ich mußte sehr genau nachdenken, welche Antwort ich ihm auf seine Frage gab.
    »Ja, weißt du, ich glaube beinahe, er war noch größer.«
    »Ja, aber...« In den Ecken von Jimmys Mund zuckte ein listiges Lächeln. »War er größer als Mr. Thackray?«
    Das war der Todesstoß. Kein Mensch war größer als Mr. Thackray, der aus seiner Erhabenheit von 2 Meter 10 auf die übrigen Einwohner von Darrowby hinabblickte.
    Ich gab mich geschlagen. »Nein, das muß ich zugeben. So groß wie Mr. Thackray war er nicht.«
    Jimmy lächelte

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