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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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auf die Außenseite seiner linken Pfote drückte, jaulte er auf, und ein kleiner Tropfen Wundwasser erschien an der schwarzen Oberfläche.
    »Er hat sich etwas in die Pfote getreten, Mr. Garrett«, sagte ich. »Vielleicht einen Dorn. Ich werde ihm die Spritze zur lokalen Betäubung geben und ihm die Pfote öffnen.«
    Als ich die Spritze füllte, kam in der Fensterecke ein Knie in Sicht. Er wird doch nicht an der Glyzinie hochklettern, dachte ich ärgerlich. Das war gefährlich, und ich hatte es ihm ausdrücklich verboten. Die Zweige und Ranken unserer schönen Glyzinie bedeckten die ganze Rückseite des Hauses, und wenn sie unten, nahe am Boden, auch dick wie Männerarme waren, wurden sie nach oben hin doch immer schlanker und waren in Höhe des Badezimmerfensters dünn und zerbrechlich.
    Nein, sagte ich mir, du hast dich geirrt. Und ich begann, die Flüssigkeit in die Pfote zu injizieren. Die modernen Betäubungsmittel wirken sehr schnell: nach ein, zwei Minuten konnte ich die kranke Pfote kräftig drücken, ohne daß der Hund noch Schmerz empfand.
    Ich griff zum Skalpell. »Halten Sie das Bein hoch, Mr. Garrett«, sagte ich. »Und halten Sie es so ruhig, wie Sie können.«
    Mr. Garrett nickte und preßte die Lippen zusammen. Er war immer ein ernster Mann und machte sich offensichtlich große Sorgen um seinen Hund. Seine Augen verengten sich, als ich das Messer über dem verräterischen Tropfen Flüssigkeit in der Schwebe hielt.
    Für mich war es ein fesselnder Augenblick. Wenn ich den Fremdkörper fand und entfernen konnte, würde der Hund seine Schmerzen sofort los sein. Ich wußte das aus vielen Erfahrungen. Meist ging es gut.
    Ich machte mit der Spitze der Klinge vorsichtig einen Einschnitt in das harte Gewebe der Pfote. In diesem Moment glitt ein Schatten über das Fenster. Ich sah hoch. Es war Jimmy – diesmal an der anderen Seite des Fensters. Er grinste mich aus halber Höhe durch die Fensterscheibe an.
    Der kleine Gauner war tatsächlich an der Glyzinie hochgeklettert, in dieser Situation konnte ich nichts tun, ich konnte ihm nur einen schnellen Blick zuwerfen. Ich schnitt ein bißchen tiefer und drückte, aber immer noch zeigte sich nichts in der Wunde. Ich wollte dem Tier eine tiefere Wunde ersparen, aber es war klar, daß ich einen Kreuzschnitt machen mußte, um tiefer sehen zu können. Ich setzte das Skalpell im rechten Winkel zu meinem ersten Schnitt an, als ich aus dem Augenwinkel sah, wie zwei Füße am oberen Rand des Fensters baumelten. Ich versuchte, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, aber die Füße schwangen hin und her und stießen wiederholt gegen das Fenster, Zeichen, die offensichtlich für mich bestimmt waren. Schließlich verschwanden sie, was nur bedeuten konnte, daß ihr Besitzer in gefährliche Regionen emporgeklettert war. Ich schnitt noch ein wenig tiefer und tupfte das Blut mit Watte ab.
    Ah, und jetzt konnte ich auch etwas sehen, aber es saß sehr tief. Wahrscheinlich war es die Spitze eines Dorns, der unter der Haut abgebrochen war. Ich fühlte, wie mich die Erregung eines Jägers überkam, als ich zur Pinzette griff, und genau da tauchte der Kopf wieder auf – nur daß er diesmal nach unten zeigte.
    Mein Gott, er hing mit den Füßen an den Zweigen! Und der Ausdruck seines Gesichts war ausgesprochen gerissen. Mit Rücksicht auf meinen Kunden hatte ich das Spielchen draußen zu ignorieren versucht, aber das jetzt war zuviel. Ich sprang zum Fenster und schüttelte drohend die Faust. Meine Wut mußte den Darsteller draußen verwirrt haben, denn sofort verschwand das Gesicht, und ich konnte leise Geräusche von kletternden Füßen hören.
    Das war auch kein großer Trost. Möglicherweise konnten die Zweige oben das Gewicht eines Jungen nicht tragen. Ich gab mir einen Ruck und wandte mich wieder meiner Arbeit zu.
    »Entschuldigen Sie, Mr. Garrett«, sagte ich. »Würden Sie das Bein, bitte, hochhalten?«
    Mr. Garrett reagierte mit einem dünnen Lächeln, und ich fuhr mit der Pinzette in die Tiefe. Sie stieß an etwas Hartes – bekam es zu fassen, zog sanft, und heraus kam die harte, glänzende Spitze eines Dorns. Ich hatte es geschafft.
    Es war einer der kleinen Triumphe, die das Leben eines Tierarztes erhellen, und ich strahlte Mr. Garrett an und streichelte dem Hund den Kopf – als ich das Krachen oben hörte. Ihm folgte ein langer Schrei der Angst, dann sauste eine kleine Gestalt draußen vorm Fenster vorbei und schlug mit einem schrecklichen dumpfen Geräusch auf den

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