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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Gartenboden.
    Ich warf die Pinzette hin und schoß aus dem Behandlungszimmer, lief den Flur hinunter und durch die Seitentür in den Garten. Jimmy saß aufrecht da, mitten im Goldlack! Ich war so erleichtert, daß ich es einfach nicht fertigbrachte, ihn zu schelten.
    »Hast du dich verletzt?« fragte ich atemlos, und er schüttelte den Kopf.
    Ich hob ihn auf die Füße, und er schien stehen zu können. Ich tastete ihn vorsichtig ab. Er schien keine Verletzung zu haben.
    Ich nahm ihn mit ins Haus. »Geh zu Mami«, sagte ich und kehrte ins Behandlungszimmer zurück.
    Ich muß totenblaß gewesen sein, als ich eintrat, denn Mr. Garrett sah mich erschreckt an. »Ist er in Ordnung?« fragte er.
    »Ja, ja, ich glaube ja. Aber ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, daß ich so weggelaufen bin. Es war wirklich nicht richtig von mir, daß ich –«
    Mr. Garrett legte mir die Hand auf die Schulter. »Sagen Sie nichts mehr, Mr. Herriot, ich habe selber Kinder.« Und dann sprach er die Worte, die sich mir ins Herz graben sollten. »Man braucht Nerven aus Stahl als Vater oder Mutter.«
    Später, beim Tee, beobachtete ich, wie mein Sohn ein pochiertes Ei auf Toast verputzte und sich dann einen Berg Pflaumenmus auf eine Scheibe Brot klackste. Zum Glück war ihm bei dem Sturz nichts passiert, aber ich hatte noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.
    »Hör zu, junger Mann«, sagte ich. »Das war sehr ungezogen, was du da getan hast. Ich habe es dir doch schon so oft gesagt! Du sollst nicht an der Glyzinie raufklettern.«
    Jimmy biß in sein Brot und sah mich teilnahmslos an. Ich habe etwas von einer Henne an mir, und im Laufe der Jahre haben er und später meine Tochter Rosie das erkannt und eine beunruhigende Angewohnheit angenommen: Sie machten respektlose, glucksende Geräusche, wenn ich wieder einmal überbesorgt war. Im Augenblick sah ich, daß ich sagen konnte, was ich wollte – er war nicht geneigt, es ernst zu nehmen.
    »Wenn du dich weiter so benimmst wie heute«, fuhr ich fort, »werde ich dich nicht mehr mitnehmen, wenn ich Besuche mache. Ich finde schon einen anderen kleinen Jungen, der mir dann hilft.«
    Er kaute langsamer. Ich suchte nach einer Reaktion in diesem kleinen Häufchen Mensch, der später ein so viel besserer Tierarzt werden sollte, als ich es je sein konnte – um einen trockenen schottischen Kollegen zu zitieren, mit dem ich zusammen im College gewesen war und der nie ein Blatt vor den Mund zu nehmen pflegte und dreißig Jahre später sagte: »Eine ganz gewaltige Verbesserung seines alten Herrn.«
    Jimmy ließ sein Brot auf den Teller fallen. »Einen anderen kleinen Jungen?« fragte er.
    »Ja, genau. Ich kann keine ungezogenen Jungen brauchen. Ich werde mir einen anderen suchen.«
    Jimmy dachte eine Minute darüber nach, dann zuckte er mit den Schultern und schien sich philosophisch mit der Situation abzufinden. Er biß wieder in sein Pflaumenmusbrot.
    Plötzlich schwand seine Kaltblütigkeit. Er hielt im Kauen inne und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an.
    Seine Stimme klang hoch und zitternd. »Kriegt der andere auch meine Stiefel?«

Kapitel 5
     
    »Bei Gott, da ist Doktor Fu Manchu!«
    Der Bauer ließ sein Brötchen mitsamt der Butter auf den Teller fallen und starrte schreckensbleich aufs Küchenfenster.
    Ich trank eine Tasse Tee bei ihnen und hätte mich fast verschluckt, als ich seinem Blick folgte.
    Hinter der Scheibe stand ein riesiger Asiate. Schlitzaugen betrachteten uns drohend aus einem von Pockennarben gezeichneten Gesicht. Über die linke Wange lief eine häßliche Narbe vom Ohr bis zum Kinn. Am auffälligsten jedoch war der einseitige Schnurrbart, schwarz und graumeliert, dessen eines Ende mehrere Zentimeter von der Oberlippe herunterhing. Ein exotisch gefärbtes Gewand floß von den Schultern des Mannes über seine Hände, die er, vor dem Leib gekreuzt, tief in den Ärmeln versteckt hielt.
    Die Bauersfrau schrie auf und sprang vom Stuhl hoch. Ich blieb wie festgewurzelt sitzen. Ich konnte nicht glauben, was ich sah: diese Erscheinung vor dem Hintergrund der Stallungen und Weiden einer Farm in Yorkshire.
    Die Frau schrie, als ob sie am Spieß steckte. Plötzlich hörte sie auf und ging langsam auf das Fenster zu. Als sie näherkam, verzog sich der Mund des Riesen zu einem freundlichen Grinsen, dann zog er die eine Hand aus dem Ärmel und winkte ihr mit den Fingern zu, wie einst Oliver Hardy es tat.
    »Es ist Igor!« rief sie und drehte sich mit einem Schwung zu ihrem Mann um. »Und was

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