Von Zweibeinern und Vierbeinern
und nickte zufrieden. Dann summte er den Anfang eines Liedchens vor sich hin und trommelte dazu mit den Fingern auf das Armaturenbrett. Bald merkte ich, daß er in Schwierigkeiten geriet. Er wußte nicht mehr, wie die Melodie weiterging. Geduld war nicht seine starke Seite. Er versuchte es, hörte auf, versuchte es wieder und wurde offensichtlich wütend.
Als wir schließlich einen steilen Hang zu einem Dorf hinunterfuhren und ein neues mißlungenes Tam-ta-tam-ta-tam abrupt aufhörte, fuhr er mich angriffslustig an.
»Hör mal«, explodierte er. »Das hängt mir jetzt langsam zum Hals raus.«
»Tut mir leid, mein Kleiner.« Ich dachte nach. »Ich glaube, es war ›Lilliburlero‹, was du da trommeln wolltest.« Ich klopfte im Rhythmus des Liedes aufs Armaturenbrett.
»Ja, stimmt!« Er schlug sich aufs Knie und summte die Melodie mehrere Male in voller Lautstärke. Das hob seine Stimmung so sehr, daß er etwas zur Sprache brachte, was ihn die ganze Zeit beschäftigt haben mußte.
»Daddy«, sagte er, »kann ich ein Paar Stiefel haben?«
»Stiefel? Wieso? Du hast doch schon welche bekommen, nicht wahr?« Ich deutete auf die kleinen Stulpenstiefel, die Helen ihm immer anzog, wenn er mit zu den Gehöften fuhr.
Er sah mißmutig auf seine Füße, bevor er antwortete. »Ja, ich weiß, aber ich möchte richtige Stiefel haben, solche wie die Bauern.«
Das war ein klares Wort. Ich war betroffen und wußte nicht, was ich sagen sollte. »Aber Jim, kleine Jungen wie du tragen noch nicht solche Stiefel. Vielleicht wenn du größer bist...«
»Aber ich will sie jetzt haben«, sagte er in klagendem Ton. »Ich möchte richtige Stiefel haben.«
Zuerst glaubte ich, es sei eine Laune, aber er kam mehrere Tage lang beharrlich immer wieder darauf zurück und unterstrich diese Kampagne noch durch angewiderte Blicke, wenn Helen ihm morgens seine Stulpenstiefel anzog, oder durch die Art, wie er lustlos vornübergebeugt umherging, um zu signalisieren, daß dieses Schuhwerk für einen Mann wie ihn vollkommen unangemessen sei.
Helen und ich sprachen eines Abends darüber, nachdem er zu Bett gegangen war.
»Es gibt doch bestimmt keine Bauernstiefel in dieser Größe, nicht?« fragte ich.
Helen schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Aber ich werde mich mal umsehen.«
Und es schien so, als ob Jimmy nicht der einzige kleine Junge war, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, richtige Bauernstiefel zu tragen, denn binnen einer Woche kam meine Frau eines Tages strahlend mit den kleinsten Bauernstiefeln, die ich je gesehen hatte, nach Hause.
Ich mußte lachen. Sie waren so klein und doch richtige Bauernstiefel. Derb, genagelte Sohlen, das Oberleder kräftig und mit zwei langen Reihen von Schnürlöchern mit Metallkrampen versehen.
Jimmy lachte nicht, als er sie sah. Er behandelte sie fast mit Ehrfurcht, und als er sie erst einmal angezogen hatte, veränderte sich sein Benehmen. Er war von Natur aus lebhaft und quirlig, aber wenn man ihn jetzt in seinen Cordhosen und mit seinen neuen Stiefeln über einen Hof gehen sah, konnte man glauben, er sei der Besitzer. Er ging gemessen und hielt sich sehr aufrecht, und seine Rufe »Hallo! Hallo!« hatten plötzlich etwas Gebieterisches.
Er war nie wirklich ungezogen oder böse – und bestimmt nie gewalttätig oder grausam –, aber er hatte das kleine bißchen von einem Teufel in sich, das vermutlich alle Jungen haben müssen. Er setzte gern seinen Kopf durch, und er ärgerte mich gern – vielleicht unbewußt. Wenn ich ihm sagte: »Faß das nicht an«, ließ er den betreffenden Gegenstand sofort los, doch versäumte er es nie, ihm ein wenig später einen kleinen Stoß mit den Fingern zu versetzen, was nicht unbedingt als Ungehorsam ausgelegt werden konnte. Das war eine seiner kleinen Machtproben innerhalb der Familie.
Er brachte es auch durchaus fertig, sich, wenn ich mich in unangenehmen Situationen befand, Vorteile zu verschaffen. Eines Nachmittags brachte Mr. Garrett seinen Schäferhund zu mir. Das Tier lahmte stark, und ich war gerade dabei, es auf den Tisch des Behandlungszimmers zu hieven, als Jimmys kleiner Kopf einen Augenblick im Fenster erschien.
Ich beachtete ihn nicht weiter. Jimmy sah mir oft zu, wenn ich meine kleinen Patienten behandelte, und ich erwartete fast, daß er ins Zimmer kommen würde, um sich die Sache aus der Nähe anzusehen.
Es ist oft schwierig, die Ursache für das Lahmen eines Hundes festzustellen. In diesem Fall gelang es mir sofort. Als ich vorsichtig
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