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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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und ohne zu drängeln in der Schlange der Kinder, und wenn er an der Reihe war, kletterte er die Treppe hinauf und rutschte, ganz Würde und Wichtigkeit, die Metallbahn hinunter. Dann schritt er um die Rutsche herum und reihte sich wieder hinten in die Schlange ein.
    Die kleinen Jungen und Mädchen schienen dies für selbstverständlich zu halten. Mir dagegen fiel es schwer, mich von diesem Schauspiel loszureißen. Ich hätte den ganzen Tag zusehen können.
    Ich mußte jedesmal lächeln, wenn ich an Brandys Possen dachte. Aber als Mrs. Westby ihn mir ein paar Monate später in die Praxis brachte, lächelte ich nicht mehr. Seine quirlige Überschwenglichkeit war verschwunden, schleppend schlich er durch den Flur zum Behandlungszimmer.
    Als ich ihn auf den Untersuchungstisch hob, merkte ich, daß er eine Menge Gewicht verloren hatte.
    »Was ist denn nur los mit ihm, Mrs. Westby?« fragte ich.
    Sie sah mich besorgt an. »Er kränkelt seit ein paar Tagen, er ist teilnahmslos und hustet, und er ißt kaum etwas. Aber seit heute morgen kommt er mir richtig krank vor. Er muß richtig nach Luft japsen...«
    Während ich das Thermometer einführte, beobachtete ich, wie sich der Brustkorb in schnellem Rhythmus hob und senkte. »Er sieht wirklich ziemlich elend aus.«
    Brandy hatte 40 Grad Fieber. Ich nahm mein Stethoskop und hörte die Lungen ab. Ein alter schottischer Arzt hatte einmal den Brustkorb eines Patienten als eine »rasselnde Kiste« bezeichnet – und genauso hörte es sich jetzt bei Brandy an. Da war ein Rasseln und Pfeifen, ein Piepsen und Gurgeln – und im Hintergrund das keuchende Atmen.
    Ich steckte das Stethoskop in die Tasche. »Er hat eine Lungenentzündung.«
    »Der arme Kerl.« Mrs. Westby streckte die Hand aus und streichelte ihm die Brust. »Dann ist es sehr ernst, ja?«
    »Ich fürchte, ja.«
    »Aber...« Sie warf mir einen vertrauensvollen Blick zu. »Soweit ich gehört habe, gibt es gute neue Medikamente...«
    Ich zögerte. »Ja, das ist richtig. In der Humanmedizin und auch bei den meisten Tieren haben die Sulfonamide und neuerdings das Penicillin das Bild verändert. Aber Hunde sind nach wie vor schwer zu heilen.«
    Das ist auch heute, dreißig Jahre später, noch so. Trotz all der Antibiotika, die dem Penicillin folgten – die Streptomycine, Tetrazykline, Synthetika und Steroide –, bin ich immer äußerst besorgt, wenn ein Hund Lungenentzündung hat.
    »Aber Sie halten es nicht für hoffnungslos?« fragte Mrs. Westby.
    »Nein, nein, keineswegs. Ich muß Sie nur darauf hinweisen, daß viele Hunde nicht auf die Behandlung ansprechen. Aber Brandy ist jung und kräftig. Er müßte gute Chancen haben. Wie ist es übrigens dazu gekommen?«
    »Ich glaube, das weiß ich, Mr. Herriot. Er ist vor einer Woche im Fluß herumgeschwommen. Ich habe versucht, ihn aus dem Wasser zu locken, weil es so kalt war, aber wenn er irgendwo ein Stöckchen schwimmen sieht, ist er nicht zu halten. Sie haben es ja selber gesehen.«
    »Ich weiß. Und hinterher hat er gefroren?«
    »Ja. Ich bin gleich mit ihm nach Hause gegangen, denn es war ein sehr kalter Tag. Und ich merkte, wie er zitterte, als ich ihn zu Hause abtrocknete.«
    Ich nickte. »Das könnte der Grund sein. Also lassen Sie uns mit der Behandlung anfangen. Ich gebe ihm eine Penicillinspritze und komme morgen bei Ihnen vorbei und gebe ihm dann noch eine. Es ist besser, wenn er in diesem Zustand nicht in die Praxis kommt.«
    »Gut, Mr. Herriot. Und kann ich sonst noch etwas tun?«
    »Ja, das können Sie. Machen Sie ihm ein Jäckchen. Schneiden Sie einfach zwei Löcher für die Vorderbeine in die Decke und nähen Sie die beiden Enden über dem Rücken zusammen. Es kann auch ein alter Pullover sein, Hauptsache, die Brust ist warm bedeckt.«
    Am nächsten Tag gab ich ihm die zweite Penicillinspritze. Noch war keine Besserung festzustellen. Ich gab ihm noch an vier weiteren Tagen Penicillin – aber Brandy gehörte offenbar zu den vielen Hunden, die nicht auf die Behandlung ansprachen. Die Temperatur sank ein wenig, aber er aß fast nichts mehr und wurde immer dünner. Ich stellte ihn um auf Sulphapyridin-Tabletten, aber auch sie schienen nicht anzuschlagen.
    Die Tage gingen dahin, Brandy hustete und keuchte und blickte immer elender und trüber in die Welt. So kam ich zu dem traurigen Schluß, daß dieser schöne Hund, der noch vor wenigen Wochen quicklebendig gewesen war, sterben würde.
    Aber Brandy starb nicht. Er überlebte. Mehr war es nicht. Die Temperatur

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