Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Titel: Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Rieger
Vom Netzwerk:
Neugierde war es letztlich, die mich dann antrieb, durch die Tür zu gehen. Tatsächlich war es so wie vermutet. Die rechte Kammer des Tempels war identisch mit der linken, auch hier atmete es Tod und Vernichtung, auch hier tanzte die Schlange, wenn auch eine andere, so doch ihr Spiegelbild, wenn auch weit weniger gereizt als ihre Schwester vor ihrem Tod. Auch die Menschen in dieser Kammer zischten leiser und langsamer, und es war so, als wolle man mir dadurch die Prüfung erleichtern. Es regte sich Zorn in mir, es schien mir, als würden mir schon Antworten eingeflüstert, bevor ich überhaupt versuchen konnte, sie selbst zu finden, als sei man längst davon überzeugt, dass ich mich mit dem Älteren nie würde messen können. Dazu passte, dass sie das Schwert und den Mantel und die Maske vor mir auf den Boden gelegt hatten, fast so, wie man einem Blinden den Stock in die Hand drückt, bevor er nach ihm tasten kann. Ich stellte mich in den Raum und verschränkte die Arme. Obwohl mich hunderte Augenpaare sahen und die Gefahr, dass die Schlange sich umwandte und nach mir schnappte, nicht von der Hand zu weisen war, schloss ich die Augen. Ich zwang meinen Geist zur Ruhe und merkte dabei, dass die Kräfte in mich zurückkehrten, eine Welle von Energie, die sich auf die Menschen übertrug, die nun lauter schrien und keuchten, als wollten sie mich warnen, und tatsächlich war es so. Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass die Schlange den Blick von den tanzenden Brüsten hinter dem Spiegel abgewandt hatte und nun auf mir ruhen ließ, gelbe, leuchtende Höhlen, die auf dem peitschenden Körper zuckten, mal links, dann wieder rechts, gerade noch mit den Augen verfolgbar, noch nicht im Zustand der Rage, aber doch gereizt, und die Haltung des Kopfes war so, wie man sich reckt, um einen tödlichen Biss anzubringen. Dessen ungeachtet trat ich vor, leichtfüßig, mit einer unwillkürlichen Bewegung der Beine, und senkte mein Haupt und kam dabei ihrem Schwanz so nahe, dass ich die Vibration ihres Körpers in ihm spürte. Ich kann nicht genau erklären, warum ich tat, was nun folgte, aber im nächsten Augenblick war die schwarz glänzende, schuppige Spitze ihres Schwanzes in meinem Mund verschwunden, und als ich darauf zu kauen begann – nicht eigentlich kauen, es war eher ein Lutschen, bei dem ich meine Lippen verengte, und merkwürdigerweise passierte es, dass ich, egal wie sehr ich die Lippen dabei schloss oder sogar zusammen presste, der Schwanz eher noch tiefer in mich hinein rutschte – spürte ich von Atemzug zu Atemzug, wie die Wut aus dem Körper der Schlange wich. Ich würgte und kaute und schluckte, während das Tier tiefer und tiefer in mich hinein glitt, mit einem sich Winden, von dem sie nur noch tiefer drang und mich mehr und mehr in Besitz nahm, denn es war eine sehr große Schlange. Während ich sie aufaß, wurde ich unwillkürlich auf den Altarstein gehoben, sodass ich zu dem Zeitpunkt, als sich meine Zähne den Nackenschuppen der Schlange näherten, direkt vor den Spiegel zu stehen kam, aufrecht, fast auf Zehenspitzen. Der Körper der Schlange war mittlerweile steif wie ein Stock geworden, ein Pfahl, der vom Mund bis in den Bauch ragte, ihr Gesicht aber, die starren Knöpfe der Augen wie Bernsteine, das geöffnete, von Giftzähnen starrende Maul, wirkte – nun ja, wie soll ich es sagen? – resigniert, um nicht zu sagen, traurig, eine Reihe von Zähnen innerhalb meiner Zahnreihen, wie junge, sprossende Zähne, die mir selbst gehörten, und dann war er weg. Ich spürte noch ein hilfloses Zucken, etwas Hartes stieß gegen meinen Gaumen, dann ein Drängen im Hals, das mir die Luft raubte, dann war es vorbei. Die letzten, dramatischen Minuten ließen mich vor Erregung zittern, und ich hatte nichts um mich herum vernommen noch gesehen außer das Flackern von Weiß in einem alten Spiegel. Nun aber, als ich mich um wandte, merkte ich die ratlose Stille, die im Raum herrschte. Die Menschen schauten mich an, stumm und auch stumpf wie Kreaturen, denen man etwas Liebes geraubt hat, etwas Unersetzliches. Noch schien es ewig zu bestehen, doch in dem Augenblick, in dem es vergangen ist, weiß man, es wird nie mehr zurückkehren. In diesem Augenblick verspürte ich Ekel und eine heftige Übelkeit, aber es war ein schöner Ekel, und eine fast wohlige Übelkeit. Und dann richtete ich mich auf, drehte mich um und verließ den Altarraum.
     
     
     
     
     

V
     
    Die zweite Probe
     
     
    Nachts schlief ich in einer

Weitere Kostenlose Bücher