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Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Titel: Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Rieger
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kleinen, schwarzen Mulde auf der vom Wind abgewandten Seite der Hügelkuppe. Es schien mir instinktiv richtig zu sein, den Tempel trotz des stürmischen Wetters zu verlassen, und das durch eine der Türen, durch die ich gekommen war. Die Glaubensgemeinde, die für die Kulthandlungen die Staffage abgegeben hatte, verschwand hingegen im Boden des Altarraums, spurlos wie Wasser, das durch Kanäle rinnt. Später sah ich in der Tiefe weiß bemalte Gliedmaßen im Dunkel aufblitzen, schaute dabei direkt auf die weißen Punkte von Schädeln und die Striche von Armen und Beinen auf der schwarzen, wuchtigen Tapete des Urwalds und war sogleich an ein Symbolspiel erinnert, das nur mit äußerst scharfen Augen erkennbar war, und sogar für jene nur flüchtig aufblitzte, und zwar so:
     
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    Offensichtlich tat sich unten am Fuße des Berges ein Tor für die Gläubigen auf und der Berg selbst war unterhöhlt, zumindest von einer schlangenartig sich in seinem Inneren hoch windenden Treppe, oder er war gar durchwachsen von Gängen und Kammern wie ein Ameisenhaufen, durch den man sich hoch steigend dem Altarraum näherte, der dann den Himmel stützte. In einer Höhle im Berg musste die Folterkammer liegen, in der ich mit meinen Schiffskameraden gehangen hatte. In einem anderen Bereich musste es zur verschwiegenen Pforte gehen, durch die mich die Mutter als Bewusstlosen getragen und geboren hatte am Strand des Meeres, wo sie mir im Traum erschienen war.
    Jedenfalls hatte es seine Richtigkeit, dass ich hier oben auf der Seite der Hügelkuppe klebte, umtost von Wind und Wetter, in einem Heiligen Bezirk, zu dem der Meeresstrand gehörte, wie auch der Weg, auf dem ich gekommen war, und der normal Sterblichen verwehrt war. Ich konnte es sehen an der Mauer, die an dieser Stelle den Hügel umschmiegte, und an der Straße, die senkrecht dazu in den Dschungel vorstieß. Alles war bröckelig geworden und war so überwuchert, dass die Mauer mühelos überwunden werden konnte – sofern man den Mut dafür aufbringen würde. Die Urwaldstraße war zum Teil nur mehr an einzelnen Säulen erkennbar, die zwischen Blattwerk aufragten und die von hier bis in die Unendlichkeit zu liefen schienen. Gestärkt fühlte ich mich hier oben, durchwachsen von einer neuen, ungeahnten Kraft, und es war mir im ersten Augenblick gar nicht gewärtig, dass es die Schlange war, deren grätiger Leib mir wortwörtlich den Rücken stärkte, die mich ausfüllte und durchaus lebendig war, wie mir ein innerliches wohliges Zusammenziehen verdeutlichte. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen, dass ich die erste Auseinandersetzung mit meinem Bruder gewonnen hatte. Er, trunken vom Saft aus dem Kelch der Mutter, den sie eigentlich für mich bestimmt hatte, um mich leichtsinnig zu machen und blind, damit ich im Kampf mit dem Bruder das Nachsehen finden würde, hatte sein Erbe, die Schlange, mit Schwerthieben zerfetzt. Er konnte nun ihre Haut tragen und damit die Gemeinde der Gläubigen beeindrucken. Die Macht der Schlange aber würde ihm nicht mehr zu Verfügung stehen, weder ihre Klugheit, noch ihre Entschiedenheit. Ich verstand das nun, da sie sich in mir dehnte und ich ihre Hülle geworden war, und meine Glieder die einer Marionette, die ein Puppenspieler bewegte. Ich merkte aber auch, wie dem Tier bewusst wurde, dass sich die Grundbedingungen seines Lebens geändert hatten, dass es zum Schmarotzer geworden war, der von den Speisen, die ich aß, abhängig war. Beide aber, das Tier und ich, spürten von Anfang an, dass wir von diesem Arrangement profitieren würden. Wir gehörten zusammen. Zuerst ahnten wir es nur, bald aber würde es selbstverständlich werden und uns beide, vermute ich, wärmen. Ich würde fortan das Gefühl der Einsamkeit nicht mehr kennen.
    In dieser Nacht erschien mir die Mutter. Sie war sehr schön und lächelte und es war, als ob Heerscharen der Himmlischen jubilierten, als ich inmitten eines lichtglänzenden Krönungssaals auf sie zu schritt, umflittert von Edelsteinen. Sie war allein und sie breitete die Arme nach mir aus und sprach: „Du bist der einzige, der mein Herz gefunden hat, du bist der, der seine innere Kammer kennt, der sich an seine Wände geschmiegt hat. Du kennst den Geruch meines Herzens.“ Was mir in der Wirklichkeit verwehrt geblieben war, die Zustimmung der Gläubigen, das erhielt ich nun im Traum, Rufe der Freude, innige Tränen und Blicke aus hundertfachen Augen, in denen sich die

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