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Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Titel: Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Rieger
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nun erhob, und das entgegen ihrer heftigsten Anstrengungen. Das Erstaunen malte sich auch in die Gesichter der Höflinge, alte Herren zum Großteil, aber auch Frauen, allesamt faltig und hager und mit würdigen Gesichtern, die sie sich im Laufe ihres Lebens erworben hatten. Sie staunten, als sie mich da stehen sahen, frei, und eisern in meiner neuen Körperhaltung, obwohl man sich alle Mühe gab, meinen Oberkörper über den Richtblock zu krümmen.
    Auch mein Bruder erwachte aus seiner Pose und starrte mich an. Seine dunklen Augen waren ausdruckslos, aber er schaute mir direkt in die Pupillen mit Pupillen, die sich weiteten, als könne man in seinen Kopf blicken. In diesem Augenblick merkte ich, dass mich Übelkeit befiel. Es war ein plötzlicher Brechreiz, unerwartet und doch so gewaltig, dass ich nun gerade das tat, was zuvor noch unmöglich erschienen war. Ich krümmte mich. Und während ich mich krümmte, riss ich meinen Mund auf. Oder besser gesagt, mein Maul. Denn aus diesem Mund stieß mit großer Gewalt der Kopf der Schlange hervor, der nun seinerseits Zähne zeigte und eine Zunge, die in Blitzesschnelle den Nacken meines Bruders erfasst hatte. Schon wickelte sich die Schlange um ihn. Zur Hälfte steckte sie in mir fest, zur Hälfte drückte sie ihm die Luft ab.
    Es war ein Schreien um uns. Furcht, abergläubisches Entsetzen, Wut, Enttäuschung, Empörung über den unerwarteten Verlauf dieser kultischen Handlung. Es ist die Frage, ob die Menschen überhaupt dazu fähig waren, das Geschehen gedanklich einzuordnen. Sie schrien vor blankem Entsetzen, während sich das Gesicht meines Bruders blau verfärbte. Eben noch hatte er als Triumphator sein Spiegelbild amputieren wollen, auf dass er allein auf dem Schlachtfeld des Lebens bleibe. Jetzt hatte sich sein Schicksal dramatisch gewandt. Und dabei war ich ganz auf die Empfindung konzentriert, die in mir war. Es war das Gefühl einer Einheit mit einem sehr mächtigen, unendlich kräftigen, entschiedenen und aggressiven Wesen. In diesem Gefühl konnte ich mich nun wieder aufrichten, konnte meine Augen selbst verwenden und mich umschauen, obwohl mir ein weiterer Kopf aus dem Schlund gewachsen war. Konnte meine Arme bewegen, die keinesfalls so kräftig waren wie der Körper der Schlange, und ihr mächtiger Nacken, und die nun doch gleichberechtigter  Teil eines Ungeheuers waren, zu dem ich geworden war, und das einen anderen erdrosselte. Und dass wir eine Einheit waren, das zeigte sich in den nächsten Sekunden, als die Schlange den anderen los ließ, ihn weg warf. Weil ich seinen Tod nicht beabsichtigte. Mein Bruder fiel nicht entseelt, sondern bewusstlos zu Boden, und er atmete noch. Ich nahm aus seinen kraftlosen Armen das Schwert und zertrümmerte es am Stein des Alters mit einem kurzen, gewaltigen Schlag. Es zerbarst und einige Teile fuhren dabei den Umstehenden ins Fleisch, denn es gab neue Aufschreie des Schrecks und mehrere Menschen begannen zu bluten. Einer der Alten war unglücklicherweise in ein Auge getroffen worden, schrie, torkelte am Altar vorbei und stürzte schließlich hin. Ich blickte auf mich selbst hinab und ich sah auch in meiner Haut eine der Metallscherben stecken, doch ganz oberflächlich, und schon fiel sie ab. Sie hatte den Panzer, zu dem mein Körper geworden war, nicht durchdringen können. Wenige Sekunden später war die Plattform um den Altar leer. Ich stand in der Sonne allein. Unter mir aber blickte ich am Rande der Treppe auf hockende Menschen, die zu mir aufschauten. Aus meinem Mund schaute der Kopf der Schlange, bewegte sich sachte beobachtend hin und her. Und da öffnete sich ihr Mund und sie stieß Laute aus. Laute, die ich kannte. In der fremden Sprache, die ich auf einmal verstand. Denn es war ich, der hier sprach. Laut und deutlich, als würde ich schreien, und doch mühelos. So hielt ich meine Rede. Was ich sagte, kann hier nicht wiedergegeben werden, denn ich sprach in Klicklauten, die mir so natürlich kamen, als spielte ich ein lange weg gelegtes Instrument. Es war aber nicht mein eigener Kehlkopf, der diese Laute formte, sondern der Kehlkopf der Schlange. Danach zog sich die Schlange in mein Inneres zurück und ich ging an reglosen Menschen vorbei die Treppe hinab, die mit einem Mal durch den Tempel in die Tiefe führte, weiter und weiter, von Fackeln erleuchtet, scheinbar bis ins Innere der Erde. Tatsächlich aber bis an den Grund des Bauwerks, das tiefste Geschoss, das von Tageslicht erleuchtet war, weil dort auf beiden

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