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Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Titel: Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Rieger
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Leben geboren habe, habe ich dich in den Tod hinein geboren. Noch zuckt der Pulsschlag in der Nabelschnur, Voodoo. So lange das Leben in ihr pocht, bist du noch nicht ganz verloren.“
    „ Heißt das, ich lebe nicht mehr, Mutter?“
    „ Wie könntest du sonst mit mir sprechen, Kind?“
    „ Mutter, warum bin ich hier?“ stieß ich hervor. „Wer bin ich? Was mache ich hier?“
    „ Sei unbesorgt, Voodoo, dir ist ein Haus bereitet hier im Reich des Todes, und in ihm ist das Bett bezogen, sodass du auf ihm liegen und schlafen kannst und vom Leben träumen, bis in alle Ewigkeit.“
    „ Aber Mutter, ich will nicht vom Leben träumen! Ich möchte leben, ich habe doch noch gar nicht gelebt!“
    „ Wenn du leben willst, musst du den Id töten“, sprach sie, „denn es ist der Id, der mich schwanger gemacht hat mit deinem Tod.“
    Ich spürte, dass der Puls in der Nabelschnur schwächer wurde, und große Angst erfasste mich bei dem Gedanken, dass ich dann tot sein würde.
    „ Wer ist der Id?“ rief ich, schrie ich, und vernahm ein heiseres Lachen. Es klang nach Selbstaufgabe, Zwecklosigkeit, schwindendes Leben.
    „ Der Id“, sagte die Stimme, „das bist du selbst. Es ist das, wogegen man kämpft. Nur wer das Kämpfen gelernt hat, lebt.“
    „ Mutter!“ rief ich, „Mutter! Wo bist du? Wie geht es dir? Was kann ich tun?“
    Ich hatte meine Mutter im Leben nie kennen lernen dürfen, denn sie war bei meiner Geburt gestorben. Meine Hände, schweißig und zitternd, verloren nun auch jetzt die Nabelschnur. Es war wie Papier, das sich in Wasser auflöst. Ich spürte, dass der Körper, an den ich mich schmiegte, erkaltete. Als ich am folgenden Morgen erwachte, stellte ich fest, dass ich mich an einen Stein gedrückt hatte und in kauernder Stellung eingeschlafen sein musste. Obwohl mein Körper steif war und schmerzte, merkte ich, wie angenehm es war, ihn von der Sonne durchfluten zu lassen, und der Wind streichelte mich, als ich mich auf dem sandigen Boden ausstreckte und mit geschlossenen Augen lag, bis das Pochen in Kopf und Nacken nachgelassen hatte. Ich schlief erneut ein und erwachte ein zweites Mal von der Hitze der Morgensonne, von Hunger und Durst, und obwohl ich noch so kraftlos war, dass ich kaum stehen konnte, war mir vergleichsweise wohl. Mein Kopf war das erste Mal seit meiner Abreise aus England klar, und meine Augen, wenn auch noch von einem Druck in der Stirnhöhle müde, sahen alles, was um mich herum stand, so klar, als befände sich alles in unmittelbarer Nähe. Ich sah die Vögel in den Bäumen und im Buschwerk, das mich umgab. Ich nahm einen Paarhufer wahr, vergleichbar einem Reh oder einer Gazelle, ich sah die Streifen auf seinem Fell, obwohl er hinter zahlreichen Blättern und Ästen stand und atmete und witterte,  ebenso wie ich ihn witterte, weniger über die Augen als über Mund und Nase, und sah doch sein Auge, kristallklar, wie aus nächster Nähe. Ich fühlte mich wie neugeboren. Es schien mir wirklich, als sei ich nicht nur ein anderer, sondern jemand mit ganz neuen Eigenschaften und Fähigkeiten. Ich war hungrig und sah nicht nur die Früchte, die mir die Natur bot, sondern es war so, als könne ich jetzt in sie hinein blicken, sie schon aus der Entfernung schmecken und nach ihrer Bekömmlichkeit abschätzen, und als ich mich auf eine rote Frucht mit braunen Punkten zu bewegte, geschah es beinahe lautlos, da meine Füße auftraten, als wäre ihnen ein Auge aufgeschlagen worden, das jede Bodenbeschaffenheit wahrnahm. Die Frucht zu erspähen und bereits dort zu sein, das geschah in Gedankenschnelle und während ich aß, blickte ich mich kauernd um und erspürte alles im weiten Umkreis, alles, was kroch und flog und hockte, und die Bewegung von Blättern, Laub und Wellen. Ja, ich spürte, noch bevor ich es hörte, roch oder sah die Nähe des Meeres jenseits der Anhöhe, und erspürte die winzige Bucht mit dem weißen Sand inmitten wuchernden Laubwerks. Dort konnte ich weich im Schatten ruhen, nachdem ich eine Weile in der Brandung gelegen hatte, umspült und überspült von Meereswogen, und mich gereinigt hatte von Blut, Schweiß und Kot. Ich schlief und wachte, um mich auf einen Streifzug in den Wald zu begeben, stillte meinen Hunger mit Früchten und meinen Durst an einem Stein, und dem eine Quelle hervorrann, süß und klar und erfrischend, und so reichhaltig, dass ich darin baden und das Salz des Meeres abspülen konnte. Mir war in meinem ganzen Leben noch nicht so wohl gewesen wie in

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