Voodoo Holmes Stories
packen und von dir wegreißen, sonst erstickst du.“
„Sie waren unten und oben zugleich“, wiederholte ich.
„Ich weiß nicht, wie ich es anders erklären soll.“
„Sie hatten zwei verschiedene Körper?“
Sie nickte.
„Was geschah dann?“
„Das Ding starb. Und als es tot war, entspannte sich mein anderes Ich, lächelte und sagte: Na, Süße?“
*
Bevor wir zu Jeffreys Vernehmung schreiten konnten, legten wir im nächsten Pub eine Pause ein. Wir sprachen nicht viel. Nur einmal meinte Maddox. „Zum Teufel, Holmes, was glaubten diese verdammten Zeugen denn zu sehen, wenn sie aus ihren Fenstern schauten?“
„Es ist das ein psychologischer Effekt, eine Art Übertragung, die bislang noch nicht benannt worden ist, Maddox. Ich würde es Autoästhesie nennen. Sie kennen doch Mitleid, oder?“
„Ist schon vorgekommen“, knurrte er.
„Es ist ein Einfühlen in den anderen. Es gibt Menschen wie Jeffrey, die Außergewöhnliches erlebt haben und dadurch in der Lage sind, anderen eine Form des Mitleids einzugeben, die sie selbst bis an die Grundfesten ihrer Selbstwahrnehmung führt. Sie glauben, sich selbst zu sehen, zu hören, zu spüren. Tatsächlich aber spüren sie nur den Schmerz des anderen. Und dieser Schmerz ist so groß, dass er sich theatralisch Luft macht, in Szenen, sozusagen. Ich glaube, man nennt das Sex.“
„Starker Tobak, Holmes.“
„Es ist das natürlich ein großer Betrug, wenn es mit Gewalt einhergeht, denn diese Gewalt zerstört die Intimität, und dann fällt auch die Autoästhesie völlig in sich zusammen.“
„Und was ist jetzt mit dieser Autoästhesie?“ fragte er. „Gibt es dieses Phänomen auch außerhalb des Intimbereichs?“
„Es ist genau gesagt sogar ein sehr häufiges, fast tägliches Phänomen, Maddox. Überlegen sie mal, worin besteht da der Unterschied, wenn Sie ins Theater gehen oder ein Buch lesen? Irgendwann wird da ein anderer zu einem selbst, zumindest in den gelungenen Werken, mit denen man sich identifiziert. Das ist Autoästhesie, sich Identifizieren können mit anderen, und sich dabei selbst erkennen.“
„Das erklärt das Mitfiebern“, sagte Maddox. „Bei mir passiert das allerdings eher beim Rugby.“
„Warum aber diese Zeuginnen mit unserem guten Jeffrey mitfiebern, nun, das muss mit dem zu tun haben, das ihnen und auch ihm zugestoßen ist. Wie der Fall der letzten Zeugin nahe legt, Miss Huntingtons, die ja offensichtlich ihre Freundin erwürgt hat in einem Augenblick, in dem drei verschiedene Autoästhesien aufeinander stießen. Was Miss Keen dazu bewegte, zu Mr. Neeling hinüber zu gehen, das muss etwas sein, das in ihrer Vorgeschichte begründet war und sie zum Engel von St. Mary’s werden ließ. Bei Miss Huntington aber lag der Missbrauch durch Ihren Schwiegervater zugrunde, der ja offenbar schon im 3. Lebensjahr begann, und das mit dem Wissen ihrer Mutter. Sie haben ja die Akte gelesen. Und im Fall der guten Mona wird es ähnliche Einflüsse geben, vielleicht zum Anfang ihrer Karriere, oder vielleicht weit früher, in ihrer eigenen Kindheit. Und so bleiben Spuren zurück, die durch verschiedene Auslöser dann einmal später Autoästhesie erzeugen.“
Maddox seufzte: „Also ich weiß nicht, es war einfacher, als ich noch auf den Strich ging, äh, ich eine, als ich noch auf Streife ging, Holmes. Bin ich zu einfach gestrickt für das Morddezernat? Jedenfalls großes Kompliment, wie Sie all das hervorgelockt haben, selbst wenn es kein vernünftiger Mensch versteht. Was für ein Haufen Gedanken!“
Als wir zum Yard zurückkehrten, erfuhren wir, dass Miss Huntington bereit war, ein umfassendes Geständnis abzulegen, und zwar unter Maßgabe der „realistischen Ebene“, wie sie sagte. Ihre Freundin habe sie verlassen wollen, und als sie sie im Bett Jeffreys fand, habe sie den Verstand verloren und sie erdrosselt. Jeffrey habe ihr nach der Tat geholfen und die Leiche zurück in die Dachkammer gebracht, worauf sie vorgegeben habe, sie dort aufzufinden. Diese Aussage wurde uns im anschließenden Verhör, das wir mit Jeffrey führten, bestätigt. Es war natürlich eine weit schaumgebremstere Situation, weshalb Maddox die Fragen stellte. Und Jeffrey selbst gab so freundlich und freimütig Auskunft, als ginge ihn die Sache nichts an. Aber er bestätigte Miss Huntingtons Geständnis in allen Einzelheiten.
Die folgenden Tage vergingen mit weiteren Verhören, die längst auf höherer Ebene geführt wurden. Schließlich kam es zur
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