Voodoo
im Prozess des Kennenlernens, des Sich-Beschnupperns, alles noch formell und höflich, der nächste Schritt wollte wohlüberlegt sein. Beide Ende zwanzig und gut gekleidet. Der Typ hatte seine Jeans frisch gebügelt, die Frau ihre gerade gekauft, oder sie trug sie nur zu besonderen Anlässen. Beide im Poloshirt, ihres türkis, seines flaschengrün. Der Kellner führte sie zu einem Ecktisch. Chantale beobachtete die beiden mit wehmütigem Lächeln.
»Erzählen Sie mir von Faustins Huun-gan.«
»Leballec?«, fragte sie mit leiser Stimme. »Erstens, er ist kein Houngan . Houngans sind gut. Leballec ist ein Bokor , ein schwarzer Magier. Angeblich ist er genauso mächtig wie Dufour, ab er hundertmal bösartiger.
Im Leben ist es nun mal so, dass manche Dinge nicht für einen bestimmt sind. Sagen wir, Sie sind verliebt in jemanden, der nichts von Ihnen wissen will, oder man will einen Job, den man nicht kriegt – Enttäuschungen also, Dinge, die nicht so laufen, wie man will. Die meisten Menschen zucken mit den Achseln und nehmen das nächste Ziel ins Visier. Hier gehen die Leute zu ihrem Houngan oder ihrer Mambo . Die gucken in die Zukunft und sehen, ob die Sehnsüchte der Menschen sich irgendwann einmal erfüllen werden. Wenn nicht, können sie versuchen, das zu arrangieren, solange es nicht die grobe Richtung des Lebens der jeweiligen Personen verändert. Aber viele Dinge, die man will, aber nicht haben kann, sind einfach nicht für einen bestimmt.«
»Und dann gehen die Leute zu Leballec?«
»Oder zu Menschen wie ihm, ja. Man nennt sie Les Ombres de Dieu , die Schatten Gottes. Das sind die, die hinter Gott gehen, in der Dunkelheit, wo er nicht hinschaut. Sie können Ihnen geben, was nicht für Sie bestimmt ist«, flüsterte Chantale und sah verängstigt aus.
»Wie?«
»Wissen Sie noch, was Dufour Ihnen über Schwarze Magie erzählt hat? Wie dort Kinder benutzt werden, um die Schutzengel der Menschen in die Irre zu führen?«
»Le Balek tötet also Kinder?«
»Das würde ich so nicht sagen«, sagte Chantale und lehnte sich zurück. »Kein Mensch weiß genau, was die tun. Das ist eine Sache zwischen ihnen und ihren Kunden. Aber mit Sicherheit ist es ziemlich extrem.«
»Was sind das für Leute, die zu ihm gehen? Allgemein gesprochen?«
»Menschen, die alle Hoffnung verloren haben. Verzweifelte Menschen. Menschen auf der Schwelle des Todes.«
»Das ist jeder mal«, sagte Max.
»Faustin ist hingegangen.«
»Damit Francesca Carver sich in ihn verliebt – oder warum auch immer. Vielleicht hat er Charlie deshalb entführt«, sagte Max nachdenklich. »Dufour sagte, Charlie sei sehr besonders. Le Balek hat das wohl auch gedacht.«
»Vielleicht«, sagte Chantale. »Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht war Charlie der Preis.«
»Welcher Preis?«
» Les Ombres verlangen niemals Geld. Sie verlangen eine Gegenleistung.«
»Eine Entführung?«
»Oder einen Mord.«
»Und was passiert, wenn der Zauber nicht wirkt?«
»Sie erwarten keine Vorleistung. Erst, wenn man gekriegt hat, was man wollte, muss man bezahlen. Dann erst fängt es an.«
»Was?«
»Nun, was immer man wollte, das einem anderen passieren soll, kommt dreifach auf einen zurück«, sagte Chantale. »So bleiben die Dinge im Gleichgewicht. Keine schlechte Tat bleibt ungesühnt. Anfang der Achtziger, bevor AIDS in die Schlagzeilen kam, hatte Jean-Claude eine Geliebte und einen Geliebten. Er war bisexuell. Die Geliebte hieß Veronique, der Freund Robert. Veronique war eifersüchtig auf Robert, weil der von Jean-Claude mehr Aufmerksamkeit kriegte. Sie hatte Angst, seine Gunst zu verlieren und für einen Mann fallen gelassen zu werden. Also ging sie zu Leballec. Ich weiß nicht, was genau sie von ihm erbeten hat, aber Robert ist eines ziemlich plötzlichen Todes gestorben, mitten in Portau-Prince. Einfach so«, sie schnippte mit dem Finger, »am Lenkrad. Bei der Autopsie wurde Wasser in seinen Lungen gefunden, als wäre er ertrunken.«
»Könnte es nicht sein, dass er ertränkt wurde und man ihn dann in den Wagen gesetzt hat?«
»Viele Leute hatten ihn am Steuer gesehen. Wenige Minuten vor seinem Tod hatte er noch angehalten, um sich Zigaretten zu kaufen«, sagte Chantale. »Jean-Claude kam zu Ohren, dass Veronique in Saut d’Eau bei Leballec gesehen worden war. Er wusste, was das bedeutete. Er hatte Angst vor Leballec. Angeblich hatte selbst Papa Doc Angst vor ihm. Also hat er sich von da an von Veronique fern gehalten. Einen Monat später wurde sie
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