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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stone
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gemeinsames Lehrerzimmer und mehrere Büros.
    »Wo schlafen die Kinder?«, fragte Max.
    »In Pétionville. Sie werden jeden Morgen hergebracht und abends wieder nach Hause gefahren«, sagte Carver. »Dies hier ist die Schule für die Kleinen, bis zum zwölften Lebensjahr. Eine Straße weiter gibt es noch eine Arche Noah.«
    »Sie haben nur von den Erfolgreichen gesprochen, von den Klugen«, sagte Max.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ihre Dienstboten kommen doch auch von hier, oder nicht?«
    »Wir können nicht alle Überflieger sein, Max. Der Luftraum ist begrenzt. Einige von uns müssen laufen.«
    »Und wie sortieren Sie die aus? Oben und unten? Lassen die Fußgänger eine besondere Begabung fürs Schuheputzen erkennen?«, fragte Max und versuchte vergeblich, sich seine Empörung nicht anmerken zu lassen. Hier war ein Volk, dessen Vorfahren zu den Waffen gegriffen hatten, um sich aus der Sklaverei zu befreien, und auf der anderen Seite die Carvers, die sie praktisch wieder an den gleichen Punkt zurückversetzten, wo sie angefangen hatten.
    »Sie stammen nicht von hier. Sie verstehen das nicht, Max«, sagte Allain mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme. »Für jedes einzelne dieser Kinder übernehmen wir eine lebenslange Verantwortung. Wir sorgen für sie. Wir finden für sie eine Aufgabe; eine, die zu ihnen passt, die ihnen Geld einbringt, die ihnen Würde gibt. Von der Arbeit, die wir ihnen bieten, können sie sich ein Haus bauen oder kaufen, Kleider kaufen, Essen und einen besseren Lebensstandard genießen als neunzig Prozent der armen Teufel, die Sie hier auf den Straßen sehen. Und wenn wir denen allen helfen könnten, glauben Sie mir, wir würden es tun. Aber so reich sind wir auch nicht.
    Sie beurteilen uns – diese Schule, unsere Arbeit – nach Ihren amerikanischen Standards. Diese inhaltsleere Rhetorik: Freiheit, Menschenrechte, Demokratie. Für Sie sind das doch nur leere Worte, die Sie ständig im Munde führen, dabei ist es noch keine vierzig Jahre her, dass den Schwarzen in Ihrem Land die gleichen Rechte zugesprochen wurden wie Ihnen«, sagte Carver mit leiser Stimme, aber wohlplatziertem Zorn. Dann zog er ein Taschentuch aus der Hosentasche und tupfte sich den Schweiß ab, der sich auf seiner Oberlippe gesammelt hatte.
    Es gab einiges, das Max auf Anhieb zur Verteidigung seines Heimatlandes hätte anführen können. Dass Amerika seiner Bevölkerung zumindest die freie Wahl ließ und dass jeder mit ausreichend Willenskraft, Entschlossenheit, Disziplin und Antrieb in Amerika Erfolg haben konnte. Dass es noch immer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten war. Aber er ließ sich nicht darauf ein. Es war nicht der richtige Zeitpunkt und nicht der richtige Ort für eine Diskussion.
    »Haben Sie noch nie einen Fehler gemacht?«, fragte Max stattdessen. »Kein Einstein, der sein Leben lang die Toiletten für Sie putzt?«
    »Nein. Keiner«, entgegnete Carver trotzig. »Jeder kann ein Trottel sein, aber nicht jeder ist intelligent.«
    »Verstehe«, sagte Max.
    »Sie finden das nicht ›richtig‹, stimmt’s? Sie finden es nicht ›fair‹.«
    »Sie sagten es ja schon, Mr. Carver, das hier ist nicht mein Land. Ich bin nur ein blöder Ami mit leerer Rhetorik im Kopf, und ich habe nicht das Recht, über Gut und Schlecht zu urteilen«, entgegnete Max sarkastisch.
    »Die durchschnittliche Lebenserwartung hier liegt bei achtundvierzig Jahren. Das heißt, mit vierundzwanzig sind die Leute im mittleren Lebensalter.« Carvers Tonfall war wieder halbwegs ins Gleichgewicht geraten. »Die Leute, die für uns arbeiten, die unser System durchlaufen, leben deutlich länger. Sie werden alt. Sie erleben, wie ihre Kinder aufwachsen. Genau wie es sein sollte.
    Wir retten Leben, und wir geben Leben. Sie verstehen das vielleicht nicht, aber vor der Französischen Revolution war das in ganz Europa nicht anders. Die Reichen haben für die Armen gesorgt.
    Wenn die Leute uns kommen sehen, lassen viele ihre Kinder zurück, damit wir sie mitnehmen und ihnen ein besseres Leben ermöglichen, wussten Sie das? Das passiert andauernd. Was Sie hier sehen, sieht von weitem vielleicht schlecht aus, Max, aber von Nahem betrachtet ist es ziemlich gut.«

34
    Am nächsten Tag um vier Uhr morgens machten sie sich auf den Weg nach Saut d’Eau, Chantale am Steuer. Die Wasserfälle lagen nur vierzig Meilen nördlich von Port-au-Prince, aber dreißig davon führten über die übelsten Straßen Haitis. An guten Tagen dauerte der Weg hin und zurück

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