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Voodoo

Voodoo

Titel: Voodoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stone
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geworden.«
    Die Rue des Ecuries war die sauberste Straße, die Max in Haiti bisher gesehen hatte. Nicht das kleinste bisschen Abfall, keine streunenden Tiere und keine Obdachlosen, keine Graffiti an den Mauern und nicht ein einziges Schlagloch im makellosen Straßenbelag, der aus grauen Pflastersteinen bestand. Eine ganz normale, ruhige Wohnstraße für die wohlhabende Mittelschicht, die es so auch in Miami oder LA oder New Orleans geben könnte.
    Max hämmerte viermal an das Tor der Thodores, wie Mathilde ihm aufgetragen hatte. Kurze Zeit später hörte er hinter der Mauer Schritte.
    » Qui là? «
    »Mein Name ist …«
    »… Mingus?«, fragte eine Frau.
    Ein Riegel wurde zurückgeschoben, das Tor wurde von innen geöffnet. Es quietschte elendig in den Angeln.
    »Ich bin Mathilde Thodore. Danke, dass Sie gekommen sind.« Sie winkte Max und Chantale herein und schob das Tor hinter ihnen zu. Sie trug Jogginghose, Turnschuhe und ein weites T-Shirt der Chicago Bulls.
    Max stellte sich vor und gab ihr die Hand. Sie hatte einen festen Händedruck, der zu ihrem geraden, fast herausfordernden Blick passte. Hätte sie mehr gelächelt, sie hätte eine attraktive, sogar schöne Frau sein können. Aber ihre Gesichtszüge wirkten starr und unerbittlich, man sah ihr an, dass sie von den Härten des Lebens zu viel mitbekommen hatte.
    Sie standen in einem kleinen Hof, wenige Meter neben einem bescheidenen, in Orange und Weiß gestrichenen Haus mit einem Spitzdach aus Wellblech, halb hinter wuchernden Büschen verborgen. Hinter dem Haus eine dicke, hohe Palme, die einen sonnengefleckten Schatten auf das Dach und den Hof warf. Zur Rechten stand eine Schaukel, die Ketten vom Rost starr geworden. Max vermutete, dass Claudette ihr einziges Kind gewesen war.
    Dann fiel sein Blick auf die beiden grellgrünen Hundeschüsseln, die neben der Schaukel standen, eine mit Futter, eine mit Wasser. Vor der Mauer sah er eine große Hundehütte stehen.
    »Keine Angst, der beißt nicht«, sagte Mathilde, als sie Max’ Blick bemerkte.
    »Das sagen sie alle.«
    »Er ist tot«, entgegnete Mathilde hastig.
    »Das tut mir leid«, sagte Max, was nicht stimmte.
    »Das Futter und das Wasser sind für seinen Geist. Sie wissen doch sicher, dass dieses Land vom Aberglauben regiert wird? Die Toten essen hier besser als wir selbst. Die Toten herrschen über dieses Land.«

    Das Haus war klein und vollgestellt, die Möbel viel zu groß für die Räume.
    Die Wände waren mit Fotos tapeziert. Auf jedem einzelnen war Claudette zu sehen: als Baby mit glänzenden Augen und offenem Mund, dann Claudette in Schuluniform und Schnappschüsse von Claudette mit ihren Eltern, Großeltern und Verwandten, deren Gesichter um ihres herum schwebten wie Planeten in einem Sonnensystem. Sie war eine glückliche Fünfjährige, sie lächelte oder lachte auf jedem Bild. In jedem Gruppenfoto stand sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, im wahrsten Sinn des Wortes: Das Auge der Kamera wurde regelrecht zu ihr hingezogen. Auf einem Foto stand sie mit ihrem Onkel Alexandre vor dessen Kirche in Miami, wahrscheinlich nach einem Gottesdienst. Er war im Talar, und im Hintergrund waren gut gekleidete Menschen zu sehen. Auf einem anderen stand sie neben einem schwarzen Dobermann. Mindestens ein Dutzend Fotos zeigten sie mit ihrem Vater, dem sie ähnlich sah und dem sie augenscheinlich den Löwenanteil ihrer Liebe geschenkt hatte, denn auf den wenigen Schnappschüssen mit ihrer Mutter lächelte sie nicht so breit und lachte nie.
    Die beiden Paare setzten sich einander gegenüber an den Esstisch. Caspar hatte seine Gäste beim Hereinkommen mit einem Nicken und einem kurzen Händedruck begrüßt, aber nicht ein einziges Wort des Willkommens über die Lippen gebracht.
    Er hatte nicht viel Ähnlichkeit mit seinem Bruder. Er war klein und stämmig, hatte dicke Arme, runde Schultern, Halsbrecherhände mit deutlich hervortretenden Adern und flache, breite Finger. Sein Auftreten war schroff, hart am Rande der Unhöflichkeit und Aggression. Das kurz geschnittene Haar, das oben dünner wurde, war mehr weiß als grau. Sein Gesicht – sehr viel muffeliger als das seiner Frau, mit beginnenden Hängebacken und Tränensäcken unter den Augen – verlieh ihm, zusammen mit dem ständigen Zähneknirschen, eine flüchtige Ähnlichkeit mit einem wütenden Mastiff. Max schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er trug das gleiche Outfit wie seine Frau, die mit einem Glas Orangensaft neben ihm saß.
    »Sie sind

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