Voodoo
keine Schwierigkeiten. Aber die Leute wie wir, die Geschäfte hatten, unsere Kollegen und Nachbarn – wir haben damals oben in Pétionville gelebt –, die haben uns deutlich zu verstehen gegeben, dass sie uns nicht da haben wollten. Die haben uns alle möglichen Beleidigungen an den Kopf geworfen. Die hätten uns nur respektiert, wenn sie uns schon ihr Leben lang gekannt hätten.«
»Neid gibt es überall«, sagte Chantale. »Nicht nur hier.«
»Ich weiß, ich weiß, die Leute reden halt, einfach nicht hinhören, blah blah blah. Hab ich alles schon gehört, danke!«, entgegnete Caspar wütend.
Entschuldigend hob Chantale die Hände.
»Wir haben das alles ignoriert und sind für uns geblieben, haben viel gearbeitet und sind immer zu allen Leuten freundlich gewesen. Nach einer Weile sind wir hierher gezogen. Das war besser. Unsere Nachbarn hier sind Leute wie wir: Immigranten, Außenseiter«, sagte Mathilde und tätschelte Caspar beruhigend den Arm. »Hier ist es nett. Und wirklich sauber.«
»Wir halten e ng zusammen hier«, sagte Caspar. »Wir betreiben hier eine ›Null Toleranz‹-Politik.«
»Gegen wen?«
»Gegen alle, die wir nicht kennen. Wir halten die Leute davon ab, dass sie sich, na ja, dass sie sich hier häuslich niederlassen. Jeder kann hier gerne durchgehen, aber bitteschön etwas zügig. Das gilt für Tiere und vor allem für Menschen. Und wir kehren reihum die Straße, morgens und abends, vor Sonnenuntergang. Hier passt jeder auf den anderen auf.«
Caspar erlaubte sich ein kleines, vielsagendes Grinsen, an dem Max ablesen konnte, dass er seinen Spaß daran hatte, den unglücklichen Obdachlosen, die sich auf seiner Straße zur Ruhe betten wollten, eins über den Schädel zu ziehen.
Wahrscheinlich war es das Einzige, was ihm überhaupt noch Freude bereitete. Max kannte viele ehemalige Polizisten, die genauso waren. Sie vermissten die harte Gangart, die auf der Straße herrschte, und nahmen Jobs an, bei denen man sich ein bisschen Körpereinsatz erlauben konnte: Türsteher, Security, Leibwächter. Caspar war vermutlich wieder zu dem Mann geworden, der er gewesen war, bevor das Glück in sein Leben Einzug gehalten und ihn für kurze Zeit aus dem gewohnten Trott befördert hatte.
»Wir waren glücklich hier«, fuhr Mathilde fort. »Claudette hat das Glück vollkommen gemacht. Wir hatten gar nicht geplant, eine Familie zu gründen, ich fand, ich sei viel zu alt, aber sie ist in unser Leben gekommen und hat alle möglichen Ecken in uns zum Leuchten gebracht, von denen wir gar nicht wussten, dass sie überhaupt da waren.«
Sie stockte und sah ihren Mann an. Max konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber an Caspars Miene, die weicher wurde, erkannte er, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Caspar legte seiner Frau liebevoll den Arm um die Schultern und zog sie an sich.
Max betrachtete die Fotos an der Wand über ihnen. Die beiden waren gute Menschen, besonders Mathilde. Sie war das Herz und das Hirn der Beziehung, sie hielt ihren Ehemann auf Kurs und ihr gemeinsames Leben in der Bahn. Sie war die Strengere in der Familie gewesen, weshalb ihre Tochter den Vater lieber gehabt hatte, von dem sie wahrscheinlich immer alles gekriegt hatte, was sie wollte. Er dachte an Allain und Francesca. Die beiden waren Millionen Meilen auseinander und liefen in entgegengesetzte Richtungen, da war keine Wärme und keine Nähe zwischen ihnen, trotz ihrer gemeinsamen Trauer. Max hatte oft gesehen, wie der Verlust eines Kindes die stärksten Ehen genauso leicht zerstörte, wie er die kaputten über die Ziellinie schob. Claudettes Verschwinden jedoch hatte die Thodores noch enger verbunden. Es hatte, wenn auch auf sehr trübe Weise, das bestärkt, was sie zusammengebracht hatte.
Max’ Blick ruhte auf einem mittelgroßen Foto von Claudette auf der Schaukel. Sie wurde von ihrem Vater angeschubst. In der Ecke saß der Dobermann und schaute zu.
Mathilde putzte sich die Nase und schniefte.
»Das Geschäft lief gut, auch wenn das politische Klima schlecht war«, fuhr sie fort, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. »In einem Monat hatten wir zwei Präsidenten und drei Putsche. Wir wussten immer, wenn irgendetwas im Busch war, unser Laden war nämlich nicht allzu weit vom Palast entfernt. Wer immer gerade an der Macht war, schickte seine Leute los, um ein paar Ersatzkanister Benzin für die Flucht zu kaufen.
Die Sache mit diesem Land ist nämlich, dass der Sprit aus den USA kommt, und jedes Mal, wenn die
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