Voodoo
und unerbittlich. Sie sagten: Ich habe schon alles gesehen , habe das Schlimmste gesehen , zu viel davon , und ich bin noch da – also fick dich .
»Wenn Gustav von dem wüsste, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, er würde durchdrehen.«
»Sie meinen, Charlie ist gar nicht sein Enkel?«
»Nein! Wie können Sie es wagen!«, fauchte sie. Sie sah empört aus, war hochrot angelaufen, ihre Augen wie zwei Dolche. Sie nahm einen kurzen Zug von der Zigarette und warf sie in die Tasse mit Wasser, die sie zum Aschenbecher umfunktioniert hatte. Die Glut zischte, dann ging sie aus.
»Verzeihung«, grinste Max. »War nur ein Test.«
Sie war sofort darauf angesprungen. Gut: eine Schwäche. Er wusste nicht, ob er einen wunden Punkt getroffen hatte, hinter dem sich eine Wahrheit verbarg, oder ob er einfach nur mit ihrer Prüderie kollidiert war. Er hatte ins Blaue hineingeschossen, um zu testen, wie weit ihre Ehrlichkeit reichte. Bis jetzt hielt sie sich ganz gut.
»Erzählen Sie mir, was Sie mir erzählen wollen, Mrs. Carver.«
»Erst will ich Ihr Wort.«
»Sicher?«, fragte Max.
»Viel mehr haben Sie ja wohl nicht zu bieten, oder?«
Er lachte. Arrogantes Miststück. Sie wollte sein Wort? Gern, warum nicht? Keine große Sache. Er konnte es immer noch brechen. Wäre nicht das erste Mal. Solange es nicht um Freunde ging, bedeuteten ihm Versprechungen, Ehrenworte, Handschlag und Schwüre nicht viel.
»Ich gebe Ihnen mein Wort, Mrs. Carver«, sagte Max mit aufrichtiger Stimme und Aufrichtigkeit in den Augen. Sie sah ihn prüfend an und schien zufrieden.
Der Kassettenrekorder war eingeschaltet, alles, was sie sagte, wurde aufgenommen. Max hatte das seit jeher so gemacht, hatte sämtliche Gespräche mit Kunden und Zeugen und Verdächtigen auch ohne deren Wissen aufgezeichnet.
»Sie waren auf der richtigen Spur heute beim Abendessen«, sagte sie, »bezüglich Eddie Faustin. Er steckte mit drin. Er war der Verbindungsmann zu uns.«
»Und deshalb sind Sie hergekommen, um mir das zu erzählen?«
»Ich wollte offen mit Ihnen reden. In Gustavs Anwesenheit ist das unmöglich. Er lässt nichts auf Faustin kommen. Der Mann hat sich einmal vor eine Kugel geworfen, die für ihn bestimmt war, und in Gustavs Augen macht ihn das zu einem Heiligen«, sagte Francesca und zog heftig an der nächsten Zigarette. »Er ist so ein Dickschädel. Was ich ihm auch über die Entführung erzählt habe, er hat es einfach beiseite gewischt – mit dem Argument, ich könne mich unmöglich an irgendwas erinnern, weil ich ja bewusstlos war. Selbst nachdem wir Faustins Zimmer durchsucht und entdeckt haben, was er da aufbewahrte …«
Sie stockte, hielt sich mit den Fingerspitzen die Stirn und massierte sie mit kreisenden Bewegungen. Es sah eher theatralisch denn therapeutisch aus.
»Was haben Sie entdeckt?«
»Faustin wohnte in den ehemaligen Stallungen, gleich hinter dem Haupthaus. Die Ställe sind zu kleinen Wohnungen ausgebaut worden, in denen die zuverlässigsten Restavecs der Familie leben. Nach der Entführung wurde die Wohnung ausgeräumt, und wir fanden eine Puppe, eine Voodoo-Puppe, in einem Karton unter seinem Bett. Sie stellte mich dar.«
»Hat er Sie gehasst?«
»Nein. Es war ein Liebes- oder vielmehr ein Lust-Zauber. Die Puppe hatte echtes Haar von mir, und in dem Wachs steckten kleine Stücke von meinen Finger- und Fußnägeln. Offensichtlich hat er sie eingesammelt, wenn ich mir die Nägel geschnitten habe, oder er hat eines der Dienstmädchen dafür bezahlt.«
»Hatten Sie je den Verdacht, dass er so etwas tat?«
»Ganz und gar nicht. Die ganze Familie hat Faustin vertraut. Er war immer höflich und sehr professionell.«
»Sie haben nicht gespürt, dass er mehr von Ihnen wollte, haben ihn nie dabei erwischt, wie er sie angesehen hat … lüstern angesehen hat?«
»Nie. Die Dienstboten hier kennen ihren Platz.«
»Natürlich, Mrs. Carver. Deshalb hat sich Faustin auch an der Entführung Ihres Sohnes beteiligt«, bemerkte Max.
Francesca lief rot an, sie war wütend.
Max wollte ihr nicht allzu sehr auf die Füße treten, damit sie es sich nicht anders überlegte und dicht machte. Also fragte er weiter: »Was ist am Tag der Entführung passiert?«
Sie drückte ihre Zigarette aus und steckte sich fast sofort eine neue an.
»Es war Vormittag, Charlies dritter Geburtstag. Am Horizont konnte man schon die amerikanischen Kriegsschiffe mit den Invasionstruppen an Bord sehen, direkt gegenüber vom Hafen von Port-au-Prince. Alle
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