Voodoo
die Schultern, um die Kinder niederzuwalzen. Hinter sich konnte er sie hören. Er drehte sich nicht um. Konnten sie sehen, was er da tat? Wahrscheinlich. Diese Jungen lebten im Dunkeln. Wussten sie, was er vorhatte?
Drei oder vier konnte er über den Haufen rennen. Sie würden ihn mit Steinen eindecken, aber wenn er seinen Kopf mit den Armen schützte und rannte, so schnell er konnte, würde er dem schlimmsten Sperrfeuer entgehen.
Bergauf, betrunken, nicht mehr ganz so jung. Was dachte er sich eigentlich?
Sie würden ihn verfolgen, und er hatte keine Ahnung, welche Straße er nehmen musste. Aber darüber würde er sich später Gedanken machen.
Wie viele waren es überhaupt?
Hundert. Locker. Er war ein toter Mann.
Der Rumrausch verließ ihn wieder. Und auch der Optimismus verabschiedete sich.
Die Trommel setzte wieder ein – nur die eine, im gleichen eindringlichen, langsamen Rhythmus, den er schon früher am Abend in seinem Garten gehört hatte. Diesmal klang es wie Bomben, die in der Ferne über einer Ortschaft niedergingen, oder ein Rammbock, der gegen die Tore einer Stadt donnerte. Der Rhythmus ging ihm nicht ins Herz, sondern direkt in die Ohren, jeder Schlag eine Granate, die in seinem Kopf explodierte und ihm in Schockwellen das Rückgrat hinablief, sodass er aufstöhnte und schauderte.
Denk nach , sagte er sich. Denk noch mal nach . Wenn das nichts hilft , renn .
»Wollt ihr Geld?«, sagte er flehend, fast gegen seinen Willen. Keine Antwort. Schweigend wurden die Steine weitergereicht, die Mörderhände gefüllt, der Kreis um ihn war fast geschlossen. Es schien hoffnungslos.
Dann fiel ihm seine Beretta ein. Er war bewaffnet, das Magazin voll.
Plötzlich wurde oben auf dem Berg ein Motorrad angelassen, das Brüllen des Motors hallte durch die Nacht wie eine Kettensäge in einer Kapelle. Der Junge im weißen Anzug.
Er kam den Berg herab. Der Motor wurde langsamer, als er sich dem Kreis um Max näherte, wurde zu einem Grollen und schließlich zu einem Schnurren.
Der Junge blieb stehen, machte den Motor aus, stieg ab und ging auf Max zu.
» Sa wap feh là , blan? «, fragte er mit einer tiefen, heiseren Stimme, die zu einem Mann gehören musste, der fünfmal so alt war wie er.
»Ich verstehe dich nicht«, lallte Max. »Sprichst du Englisch?«
»Änklisch?«
»Ja, Englisch. Sprichst du Englisch?«
Der Junge rührte sich nicht von der Stelle und starrte ihn an.
Max hörte es, bevor er es sah, ein Zischen in der Luft, etwas Schweres, das auf seinen Kopf zielte. Er duckte sich, und der Junge im Anzug schwang ins Leere.
Max versetzte ihm eine wütende Rechts-Links-Kombination auf die Rippen und den Solarplexus. Der Junge schnappte nach Luft und klappte mit einem Aufschrei zusammen wie ein Blatt Papier. Dabei streckte er das Kinn für einen rechten Haken vor, den Max sauber platzierte und ihn damit zu Boden schickte.
Max legte ihm von hinten den Arm um die Kehle, zog die Beretta aus der Tasche und schob ihm den Lauf in den Mund.
»Verpisst euch, oder er ist tot!«, schrie er und schaute in die Runde. Der Junge wedelte mit den Armen durch die Luft und trat aus, er wollte Max aus dem Gleichgewicht bringen. Max trat ihm mit der nackten Ferse auf die Hand. Er hörte Knochen brechen und einen unterdrückten Schrei, der dem Jungen in der Kehle steckenblieb.
Keiner rührte sich von der Stelle.
Was jetzt?
Er konnte den Jungen wohl kaum hinter sich herschleifen, während er auf der Suche nach dem Heimweg fünf Straßen ablief, bis er vielleicht sein Haus gefunden hatte. Unmöglich. Vielleicht könnte er ihn als Schutzschild benutzen, sich so weit wie möglich von den anderen entfernen, ihn dann laufen lassen und seiner Wege gehen.
Aber sie würden ihn nicht lassen.
Er konnte sich den Weg freischießen.
Aber nein, er würde nicht schießen. Nicht auf Kinder.
Er könnte in die Luft feuern und losrennen, während sich alle auf den Boden warfen oder wegrannten und in Panik gerieten.
»Waffe weg!«
Max zuckte zusammen.
Die dröhnende Stimme kam von oben, irgendwo am schwarzen Nachthimmel, hinter ihm, den Hügel herunter. Ohne den Jungen loszulassen, drehte er sich langsam um in Richtung Pétionville. Der Mann verstellte ihm die Aussicht. Dabei konnte Max ihn nicht einmal sehen, nur spüren. Der Kerl war massig und schwer, wie ein Donner in dunklen Sturmwolken.
»Ich sag’s nicht noch mal«, beharrte der Mann.
Max zog dem Jungen die Waffe aus dem Mund und steckte sie zurück ins Holster.
»Jetzt
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