Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)
hier?«
»Weil die Skeletons von den Brauherren und Schnapshändlern bezahlt werden«, behauptete der Mann und stieß zornig mit der Hand in die Luft. »Von gewissenlosen Leuten wie Mr. Barclay! Erst am Freitag haben die Skeletons uns in Spitalfields hinterrücks überfallen und auf wehrlose Frauen eingeschlagen. Im Auftrag der Bosse, die um ihren teuflischen Sold bangen und uns deshalb die gottlosen Schläger auf den Hals hetzen. So sieht’s doch aus!«
»Bruder Adam!«, versuchte der Major seinen Mitstreiter zu besänftigen. »Mäßige dich bitte!«
»Wahrheit muss Wahrheit bleiben«, beharrte der aufgebrachte Sprecher.
»Der Angriff vom Freitag wurde meines Wissens vom Wirt des Ten Bells Pub befehligt«, rief ich. »Mr. Waldron war dafür verantwortlich.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte einer der Journalisten.
»Das Ten Bells gehört, wie Sie vermutlich wissen, zur Truman Brauerei in Spitalfields«, fuhr ich fort, ohne auf den Einwand des Reporters zu antworten. »Fragen Sie dort in der Brick Lane nach, wer die Übergriffe der Skeletons angeordnet hat! Ich bleibe dabei: Sie protestieren hier am falschen Ort.«
»Wir sind vom Southwarker Korps«, sagte der Major, und es klang wie eine Entschuldigung. Dann beratschlagte er sich mit seinen Brüdern und Schwestern.
Mr. Barclay legte mir die Hand auf die Schulter und flüsterte in mein Ohr: »Bravo, mein Junge. Gut gemacht. Damit haben sie nicht gerechnet.«
»Ich auch nicht«, murmelte ich und kam mir ein bisschen wie ein Verräter vor.
»Das mit der Truman Brauerei war sehr geschickt«, bestätigte Mr. Anderson.
»Wahrheit muss Wahrheit bleiben«, antwortete ich.
»Nun ja«, meinte Mr. Anderson und lächelte gequält. »Ganz wie man’s nimmt.« Er schaute zu Mr. Barclay und zuckte mit den Schultern.
Major Pringle hatte sich derweil mit den anderen Heilsarmisten auf das weitere Vorgehen geeinigt und verkündete, dass das Korps nun noch eine Hymne singen und anschließend in die Borough High Street ziehen wollte, um vor den dortigen Kneipen die verlorenen Seelen zur Umkehr aufzufordern.
»Tun Sie das!«, rief Mr. Barclay erleichtert und reichte dem Major die Hand. »Und seien Sie versichert, dass das Southwarker Korps der Heilsarmee sehr bald eine großzügige Spende von Barclay, Perkins und Company erhalten wird.«
»Ich danke im Namen der verlorenen Seelen und armen Sünder«, antwortete Major Pringle.
Mr. Barclay winkte gönnerhaft ab, bedeutete mir, ihm zu folgen, und ging in Richtung Brauhaus.
Während die Salutisten ihr Lied schmetterten und von der Gnade Gottes und der Herrlichkeit des Himmels sangen, wandte ich mich an Mr. Anderson: »Was meinten Sie mit ›Ganz wie man’s nimmt‹? Das Ten Bells gehört doch zur Truman Brauerei, oder etwa nicht?«
»Das schon«, antwortete er, während wir gemeinsam seinem Boss – und womöglich bald auch meinem – folgten.
»Aber?«, fragte ich.
»Aber«, sagte er und drehte sich um, als hätte er Angst, einer der Heilsarmisten oder Journalisten könnte lauschen. »Das heißt natürlich nicht, dass Barclay und Perkins die Skeleton Army nicht finanziell unterstützt.«
»Die Brauerei bezahlt die Schläger?«, wunderte ich mich und blieb stehen.
»Alle Brauereien tun das«, erwiderte er und schaute ein wenig betreten drein. »Es ist nicht so, dass die einzelnen Aktionen von uns angeordnet oder koordiniert werden. Darum kümmern sich die Wirte und Händler. Aber …«
»Sie machen sich die Hände nicht dreckig«, folgerte ich. »Aber es passt Ihnen durchaus in den Kram, wenn sich die Heilsarmisten blutige Nasen einfangen.«
»Falsch!«, rief Mr. Barclay, der sich uns unmerklich genähert und meine letzten Worte aufgefangen hatte. »Es passt uns in den Kram, mein Junge. Du wirst bald einer von uns sein, vergiss das nicht! Hast dich gerade am Tor als würdiges Mitglied von Barclay und Perkins erwiesen, Rupert.« Er lachte und setzte hinzu: »Das sind die Fährnisse, denen wir trotzen müssen. Die Hindernisse und Obstakel, von denen ich gesprochen habe!«
Vor wenigen Tagen hatte ich mir geschworen, nie wieder etwas mit der Skeleton Army zu tun zu haben und der eigenen Verlogenheit ein Ende zu setzen, und nun merkte ich, wie naiv und blauäugig ich gewesen war. Von der Seite der Schläger und Rabauken war ich lediglich auf die Seite der Befehlshaber dieser Schläger und Rabauken gewechselt. Oder würde es zumindest bald tun.
»So!«, sagte Mr. Barclay und klopfte mir aufmunternd
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