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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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kannst nicht in Bury Hill wohnen«, wandte Mortimer ein. »Mr. Barclay braucht dich in Southwark als seine rechte Hand, solange sein ältester Sohn noch ein Kind ist. Das ständige Hin und Her zwischen Surrey und London ist für Mr. Barclay zu umständlich und mühsam. Das ist doch der eigentliche Grund für die Vereinbarung. Bis der kleine Robert erwachsen ist, wirst du dich in die Geschäfte eingearbeitet und unersetzlich gemacht haben. Wer weiß, vielleicht heißt die Firma bald Barclay, Perkins & Ingram.« Mortimer nickte zufrieden und setzte achselzuckend hinzu: »Du siehst, es ist ganz unabdingbar, dass du nach Southwark ziehst.«
    »Ich werde nicht nach Southwark und erst recht nicht nach Bury Hill ziehen!«, beharrte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Kommt gar nicht in Frage!«
    »Willst du mit Meredith in deiner Dachkammer wohnen?«, sagte William, fuhr sich über den Schnauzbart und lachte über seinen Scherz. »Werd erwachsen, Rup! Im Crown ist nicht genug Platz für uns alle, und was ist, wenn ihr erst mal Kinder habt? Du scheinst es immer noch nicht zu begreifen, aber du wirst in Kürze heiraten, Bruderherz. Dinge ändern sich.«
    »Dann heirate ich eben nicht!«, entfuhr es mir.
    Nun platzte meinem Vater der Kragen. Er sprang auf, schlug mit der Faust auf den Tisch, dass seine Zigarre aus dem Aschenbecher fiel, und schrie: »Schluss mit dem Unsinn! Du hörst auf der Stelle mit diesem Unfug auf! Es ist alles geregelt und besiegelt. Das Faulenzen und Herumtreiben hat ein Ende, hast du mich verstanden, ein für alle Mal! Du heiratest dieses Mädchen, diese …«
    »Meredith«, sprang ihm Mortimer bei.
    »Weiß ich doch!«, wehrte Vater ab und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf mich. »Du ziehst nach Southwark, du arbeitest bei Barclay, Perkins & Company, und du hörst auf, dich wie ein dummer Schuljunge zu benehmen!«
    »Oder?«, fragte ich.
    Mein Vater stemmte die Arme in die Seite und sagte mit ruhiger, aber bedrohlich klingender Stimme: »Oder du bist nicht länger mein Sohn! Dann bist du die längste Zeit ein Ingram gewesen. Das schwöre ich beim Grab deiner Mutter.«
    Ich schluckte und schwieg.
    »Hast du das verstanden?«
    Ich verharrte stumm und regungslos.
    »Ob du das verstanden hast, verdammt noch mal?«
    »Jawohl, Sir.« Und zerknirscht setzte ich hinzu: »Zu Befehl.«
    »Na also!« Vater brummte zufrieden, setzte sich wieder und wies auf den freien Stuhl am Tisch. »Und jetzt hock dich hin, damit wir reden können.«
    Doch ich tat nichts dergleichen. Ich setzte meinen Hut auf, wandte mich um und verließ kommentarlos den Raum.
    »Rupert!«, rief Mortimer mir nach. »Komm sofort zurück!«
    »Lass ihn!«, wandte William ein. »Ich glaube, er hat’s begriffen.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr«, brummte mein Vater. »Höchste Zeit, dass der Junge endlich Vernunft annimmt!«
    Dann fiel die Tür ins Schloss. Und ich erbrach mich in einen Blumenkübel.

5
    Warum war ich nur ein so verdammter Tagträumer? Wieso war es mir nicht möglich, mich auf Dinge zu konzentrieren, die mich nicht interessierten? Weshalb trieben meine Gedanken unweigerlich in alle erdenklichen Richtungen ab, sobald ich mich langweilte? Und warum, zum Teufel, war mein Blick auf das vermaledeite Oscar-Wilde-Buch im Bücherschrank gefallen? Ich verfluchte mich, weil ich gestern nur mit halbem Ohr bei der Sache gewesen war, als Mr. Barclay von den Zukunftsplänen für seine Brauerei gesprochen hatte. Das prahlerische Gerede von den Umbauten auf dem Firmengelände in Southwark, die ermüdenden Ausführungen über den bald anstehenden achten Geburtstag des kleinen Robert junior, die selbstgefälligen Monologe über Bier, Familie und Tradition und darüber, dass ihm das halbwöchige Hin und Her zwischen Southwark und Bury Hill auf Dauer zu anstrengend sei – das alles hatte ich lächelnd über mich ergehen lassen. Ich war mir inzwischen sicher, dass Mr. Barclay auf seine ausschweifende Art auch sehr detailliert dargelegt hatte, was ihm für seine Nichte Meredith vorschwebte und welche Rolle er dabei seinem künftigen »Schwiegerneffen« zudachte. Doch ich Esel hatte nicht hingehört, sondern mich stattdessen in den Anblick eines reich verzierten Buches verliebt. Statt über meine Zukunft als stellvertretender Brauer nachzudenken, hatte ich mir lieber ausgemalt, wie ich Mr. Barclay einen wertvollen Gedichtband stehlen könnte.
    Doch andererseits: Was hätte meine Aufmerksamkeit an den Plänen geändert?

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