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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Heilsarmisten hatten ihre verwundete Predigerin in Sicherheit gebracht.
    »Hast heute kein Glück bei den Frauen, mein Junge«, lachte Simeon und trat mit dem Fuß nach einer Ratte, die über meinen Bauch huschte.
    »Nein, heute ist nicht mein Glückstag«, knurrte ich und rappelte mich schwerfällig auf, während um mich herum das Hauen und Treten und Beißen weiterging. Mein Gesicht und meine Hände waren zerkratzt und von blutigen Striemen übersät. Vor allem mein Muttermal auf der rechten Wange brannte fürchterlich, eine der Ratten hatte offenbar genüsslich hineingebissen.
    »Lass uns verschwinden, bis sich die Lage beruhigt hat«, sagte ich und zog Simeon mit mir fort. »Und bevor die Polizei kommt.«
    »Und der Schnaps?«, empörte er sich. »Bin ja schließlich nicht zu meinem Vergnügen hier.«
    »Sei mein Gast«, antwortete ich lachend und deutete auf den Britannia Pub auf der gegenüberliegenden Seite der Straße. Von dort kamen weitere Männer angerannt, die ihren Beitrag zu den gewalttätigen Vergnügungen leisten wollten. Irgendwo in der Ferne war das klägliche Pfeifen eines Polizisten zu hören.

7
    »Was ist ’n da los?«, wurden wir vor dem Britannia von einer betrunkenen Frau mit rotblonden Locken begrüßt. Lallend und mit starkem irischen Akzent setzte sie hinzu: »Ist die Revolution ausgebrochen?«
    »Nee«, antwortete Simeon kichernd, »nur ein paar bissige Ratten.«
    Die Rothaarige, vermutlich eine Prostituierte, starrte in mein verkratztes und blutendes Gesicht und zog die Augenbrauen zusammen. »Dachte schon, sie hätten endlich den verdammten Ripper gefangen. Wird Zeit, dass das Monstrum geschnappt wird. Wenn schon die Polizei nichts macht, sollte wenigstens die Bürgerwehr handeln. Man ist ja als Frau seines Lebens nicht mehr sicher. Jetzt verschickt der Irre schon Leichenteile mit der Post.«
    »Wer sagt, dass die Polizei nichts unternimmt?«, fragte ich achselzuckend. »Angeblich sollen sogar Spürhunde eingesetzt werden.«
    »Und was sollen die, verdammt noch mal, aufspüren?«, höhnte die Frau, die noch nicht sehr alt sein konnte, früher womöglich sogar hübsch gewesen war, inzwischen aber heruntergekommen und verlebt aussah. »Wie riecht denn der Ripper, hä?«, rief sie und schleuderte mir dabei die Spucke ihrer feuchten Aussprache ins Gesicht. »Woher sollen die Scheißköter das wissen?«
    »Auch wieder wahr«, gab ich zu, wischte mir mit dem Ärmel über die Wange und öffnete die Kneipentür. »Darf ich dich einladen? Ich geb einen aus.«
    »Geburtstag?«
    »So was Ähnliches.«
    »Geht leider nicht«, antwortete sie und schüttelte den Kopf, dass die roten Locken flogen. »Sonst wird Joseph sauer. Er hat grad erst wieder getönt, ich sollte langsam mal was ranschaffen, anstatt ihm immer nur auf der Tasche zu liegen.« Sie deutete durch die Tür zu einem Tisch, an dem zwei Männer saßen. Der jüngere der beiden trug einen Schnauzbart, der ältere einen Vollbart, und beiden gemein war die mürrische Miene. »Also wie sieht’s aus, Jungs?«, wandte sich die Frau an uns. »Habt ihr Interesse? Von mir aus auch zu dritt. Kostet aber extra.«
    »Andermal«, sagte Simeon und zuckte mit den Schultern.
    »Andermal«, wiederholte die Prostituierte und streckte dem Schnauzbart, der drohend den Finger hob, die Zunge heraus.
    »Scher dich raus, Ginger!«, rief der Mann mit dem Schnauzer.
    »Kannst mich mal«, knurrte die Frau, ging aber wie befohlen hinaus.
    Simeon und ich betraten das Britannia, setzten uns an den Ecktisch gleich neben dem Eingang und bestellten eine Karaffe Bier und eine Flasche Gin. Und dann fragte Simeon: »Warum hat sie dich geschlagen?«
    Genau diese Frage hatte ich mir in den letzten Minuten auch unentwegt gestellt und keine Antwort darauf gefunden. Daher sagte ich: »Ich weiß es nicht.«
    »Aber es muss doch einen Grund geben, warum Eva Booth dir eine Ohrfeige gegeben hat!«, erwiderte Simeon und stopfte seine Pfeife. »Immerhin ist sie sonst eine von der Beide-Wangen-hinhalten-Fraktion!«
    »Welcher Fraktion?«
    »Wie in der Bergpredigt«, erklärte er, zündete die Pfeife an und setzte paffend hinzu: »Wer dir auf die eine Wange schlägt, dem halte auch die andere hin. Evangelium nach Matthäus. Die Heilsarmisten sind nicht gerade bekannt dafür, gewalttätig zu werden.«
    Ich nickte und konnte dennoch nur meine Antwort wiederholen: »Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht hat sie mich mit jemandem verwechselt?«
    »Das sah aber nicht so aus«, meinte er,

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