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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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griff nach dem Gin, den der Wirt auf den Tisch gestellt hatte, und goss sich ein. »Sie hat dich wie einen Geist angestarrt. Als hätte sie eine Erscheinung gehabt.«
    »Sie hat mich einen Satan genannt«, sagte ich und zündete mir eine Zigarette an der Kerze an. »Dabei bin ich ihr noch nie begegnet. Wirklich nicht! Daran könnte ich mich bestimmt erinnern.«
    »Du meinst, weil sie so schön ist?«, lachte Simeon und tätschelte meinen Unterarm. »Oder weil sie dich mit ihren tröstenden Worten bekehrt hat? Sei vorsichtig, mein Freund, der Glaube kann wie eine ansteckende Krankheit sein.«
    Ich schnaufte abfällig und schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Sorgen! Ich passe schon auf meine geistige Gesundheit auf.« Ich spülte den Gedanken mit einem Schluck Bier hinunter und fügte nachdenklich hinzu: »Aber bezaubernd ist sie, nicht wahr?«
    »Eine Heilige und eine Hexe«, sagte er und stieß eine Rauchwolke aus. »Wenn ich die heilige Johanna malen wollte, könnte ich mir Eva Booth als Modell vorstellen. In silberner Rüstung und mit Flammenschwert. Sie ist eine wahre Kriegerin für ihre seltsame Sache.«
    Wieder nickte ich und schaute wie gebannt auf die Tischplatte.
    Irgendetwas in meinem Blick schien Simeon zu erheitern, denn plötzlich lachte er laut und rief: »So schlimm, Rupert?! Dich hat’s ja mächtig erwischt.«
    »Unsinn!«, antwortete ich, doch es klang vermutlich etwas halbherzig.
    »Schlag’s dir lieber gleich aus dem Kopf! Nicht nur wegen der Ohrfeige.« Simeon lächelte verschmitzt, hob die Augenbrauen und setzte flüsternd hinzu: »Hab gehört, dass sie ihrem Vater versprochen hat, niemals zu heiraten.«
    Wieder rief ich: »Unsinn!«
    »Ich sag nur, was ich gehört habe«, antwortete er und hob entschuldigend die Schultern. »Der General hat seiner Tochter angeblich aufgetragen, ihr Leben lang eine Jungfer zu bleiben. Und wie man hört, hat sie’s ihm hoch und heilig geschworen. Das hat mir ein abtrünniger Offizier der Heilsarmee erzählt. Der General und seine schöne Tochter scheinen sich sehr zugetan zu sein. Pech und Schwefel sind ein Dreck dagegen.«
    »Wir sind doch nicht mehr im Mittelalter«, empörte ich mich, goss mir einen Schnaps ein und kippte ihn hinunter, ohne mit der Wimper zu zucken. »Die Zeiten, in denen die Eltern darüber bestimmen konnten, wen die Kinder heiraten oder nicht, sind vorbei!«
    »Ach ja?«, lachte Simeon und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das sagt ja genau der Richtige.« Grinsend setzte er hinzu: »Wie geht’s eigentlich Meredith Wie-war-doch-gleich-ihr-Name? Heldin deiner Träume. Liebe deines Lebens!«
    »Damit hat’s jetzt ein Ende!«, entfuhr es mir. »Ein für alle Mal!«
    Er schaute mich überrascht an und verschluckte sich an seinem Pfeifenrauch.
    »Ich hab mich entschieden, Simeon«, sagte ich und zog so heftig an meiner Zigarette, dass ich mir beinahe die Finger versengte. »Ab sofort ist Schluss mit der Heuchelei und dem scheinheiligen Getue. Ich mach nicht mehr mit.«
    »Aha?«, wunderte er sich und kippte den nächsten Gin. »Und was sagt dein Vater dazu? Hast du seinen Segen?«
    »Er hat gedroht, mich zu enterben.«
    Simeon nickte, als hätte er dafür allergrößtes Verständnis, und fragte: »Was hast du vor?«
    »So genau weiß ich das noch nicht«, musste ich zugeben und tunkte mein Taschentuch in den Gin, um damit meine Kratzer und Wunden zu betupfen. »Ich such mir eine billige Wohnung. Vielleicht hier irgendwo in der Nähe. Und dann werde ich arbeiten und eigenes Geld verdienen. Keine Almosen von William oder meinem Vater, kein Gnadenbrot von Mr. Barclay, ich will selbst und ehrlich schuften.«
    »Entschuldige, dass ich lache«, antwortete Simeon, ohne auch nur ansatzweise amüsiert zu wirken. »Aber welche Arbeit schwebt dir vor? Kohlenschleppen im Hafen? Oder Wergzupfen und Steineklopfen wie im Arbeitshaus?«
    Die beiden Bärtigen am Nachbartisch horchten auf und schauten neugierig zu uns herüber. Der Schnauzbart namens Joseph lachte leise vor sich hin.
    »Ich werde schreiben«, sprach ich aus, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging. »Das kann ich. Oder ich werde es lernen.«
    »Willst Dichter werden, he?«, mokierte sich Simeon.
    »Warum nicht?«
    »Dann mach dich auf ein Leben in Armut gefasst«, erwiderte er kopfschüttelnd und wandte sich im nächsten Moment an die Lauscher am Nebentisch: »Was gibt’s da zu glotzen?«
    Die beiden hoben abwehrend die Hände und starrten auf ihre leeren Bierkrüge.
    »Und wenn

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