Vor dem Regen - Roman
Zeit mit Feldforschung zubringen. Er war Ökologe, hatte sich auf Mangroven spezialisiert und erstaunte Dusty immer wieder mit der Breite seines Wissens. Er schien einfach über alles etwas zu wissen.
Dusty nickte.
»Ich helfe tragen«, sagte Vashti und stand auf.
Dusty sah die beiden gemeinsam in der Bar verschwinden, den schlaksigen Sean und die kurvenreiche Vashti, und dachte nicht zum ersten Mal, was für ein schönes Paar sie doch abgeben würden - zwei intelligente, ungebundene Menschen, die beide den vollständigen Lotos beherrschten.
»Dieses Wetter!«, klagte Brenda, die Lehrerin.
»Wirklich unmöglich«, pflichtete Siobhan, die irische Krankenschwester, bei.
Und so setzte es ein - Geplauder, das Öl zwischenmenschlicher Beziehungen. Dusty sagte nichts. Nicht weil
sie etwas an sinnfreien Unterhaltungen auszusetzen gehabt hätte, in Sachen Klatsch und Tratsch konnte sie es mit den Besten aufnehmen. Aber wenn man sich über Stunden mit Kinderpornos oder Fotos eines abgeschlachteten Mädchens beschäftigt hat, wenn man einen ganzen Tag in Gesellschaft von Abschaum zugebracht hat, dann braucht es eine Weile, bis man der Welt wieder mit einem gewissen Gleichmut begegnen kann. Als die Drinks dann endlich kamen, musste Dusty sich beherrschen, um Sean nicht einfach das Glas vom Tablett zu reißen - so wundervoll frostig schimmerte das Glas, der Wein darin so köstlich golden. Und als sie das Glas an die Lippen führte, musste sie an sich halten, es nicht gleich in einem Zug zu leeren. Sie nahm ein Schlückchen. Gesittet. Ließ dem Wein gar ein önologisches Schlürfen angedeihen, bevor sie ihn hinunterschluckte. Fast war es, als sei dies der eigentliche Zweck des Alkohols: Er war eine in vielen angenehmen Geschmacksrichtungen verfügbare Flüssigkeit, die es Angehörigen der Mordkommission, Frontsoldaten, Rettungssanitätern und all den übrigen Menschen, die in Berufen arbeiteten, wo man viel zu oft viel zu viel Mist sah, erleichterte, den Übergang vom Dienst zur Freizeit zu bewerkstelligen.
Ja, mit Alkohol kriegte man das hin, aber Dusty hatte mit zu vielen Polizisten mit Leberzirrhose, keifender Frau und Kindern, die nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollten, zusammengearbeitet, um nicht zu wissen, dass man sich mit Alkohol auch alles kaputtmachen konnte. Es war das Standardklischee in jeder Krimiserie - der Detective mit der flachmanngroßen Ausbuchtung im Jackett -, aber das hieß noch lange nicht, dass es nicht auch ein ganz reales Berufsrisiko war.
Dusty legte einmal in der Woche einen alkfreien Tag ein, meistens montags, und jeden zweiten Monat hielt sie sich eine ganze Woche von dem Stoff fern. Nur um sich zu beweisen, dass es ging.
»Und, ist sie es?«, wandte Vashti sich ohne Vorwarnung an Dusty; offensichtlich brannte sie darauf, zum kriminellen Teil des Abends überzugehen.
Sie wusste es aus dem Radio: In der Wüste hatte man eine Leiche gefunden. Und wie viele andere, so war auch Vashti fasziniert von Dustys Arbeitsgebiet und hörte begeistert ihre Geschichten. Je blutiger, desto lieber. Ihre absolute Lieblingserzählung, die Gado-Gado-Geschichte nannte sie sie zärtlich, handelte von einem indonesischen Matrosen, der einen mit siedendem Öl gefüllten Wok über seinem schlafenden, ansonsten aber unbeherrscht hitzigen Skipper ausgoss. Erstaunlicherweise hatte der Skipper überlebt und war mit einem Kopf wie ein K rupuk , ein gebackener Garnelencracker, vor Gericht erschienen.
»Das steht noch nicht wirklich fest«, sagte Dusty und hielt sich damit an die herrschende Sprachregelung.
»Ach komm schon, wer soll es denn sonst sein?«, bohrte Vashti nach.
»Wer?«, fragte Siobhan, die noch nicht lange in Darwin lebte.
»Dianna McVeigh«, klärte Sean sie auf.
Siobhan schüttelte den Kopf. Es war offensichtlich, dass sie keinen Schimmer hatte, von wem hier die Rede war. Dusty war verblüfft - sie hatte gedacht, die gesamte Englisch sprechende, internetverknüpfte Welt müsse von der Frau wissen, die im australischen Outback verschwunden war. Die Augen aller Yogis richteten sich auf Dusty, von der
man sich offenkundig einen Bericht zu Dianna McVeigh erwartete.
»Muss das sein?«, sagte sie.
»Es ist dein Fall, Liebes«, entgegnete Bev, mit achtundsechzig die Klassenälteste.
Es war mein Fall, schoss es Dusty durch den Kopf, aber darauf wollte sie jetzt wirklich nicht eingehen.
»Also dann«, sagte sie und nahm einen großen Schluck Wein. »Dianna und Greg McVeigh. Beide Ende zwanzig.
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