Vor dem Regen - Roman
Freundin 2006«. Der falsche Bieter - der älteste Trick der Welt. Völlig ausgeschlossen, dass zwei kultivierte Eurowesen auf eine solche Plumpheit hereinfielen.
»Ja, das ist der einzige, den ich habe«, sagte Julien und funkelte Dusty böse an. Es war in der Tat der einzige, den er hatte.
»Dann würde ich ihn gerne -«, setzte Dusty an, doch der Niederländer ging dazwischen.
»Madam, wir waren gerade dabei, den Kauf abzuschließen.«
34
»Das war absolut unmoralisch«, sagte Julien, als er in seinem kleinen Büro am Schreibtisch saß.
»Dann gib ihnen doch ihr Geld zurück«, erwiderte Dusty.
»Darum geht’s nicht.«
»Um was geht es dann?«
»Es gibt mehr als genug halbseidene Kunsthändler, die mit geklauter Aborigine-Kunst ein Geschäft machen wollen, da muss ich nicht auch dazugehören.«
»Woher willst du denn wissen, dass ich’s nicht gekauft hätte?«
»Weil bei dir der Kunstgeschmack drei Fuß tief im Hintern sitzt.«
Dusty war klar, dass Julien mit den halbseidenen Kunsthändlern recht hatte - an solchen herrschte wirklich kein Mangel -, aber ihr war ebenso klar, dass die hohe moralische Ebene nicht sein natürlicher Lebensraum war und er, wenn sie nur standhaft bliebe und nicht auf reuige Sünderin machte, ganz schnell wieder auf ihr Niveau herabsteigen würde.
»Drei Fuß tief im Hintern kennst du dich natürlich bestens aus«, erklärte sie.
Ein höchst mitleidiges Lächeln von Julien, als er den schmucken Mac Pro hochfuhr. »Ich darf aber doch annehmen, dass die Polizei diese und einige weitere Programme auch selbst besitzt?«, sagte er.
»Mit der Polizei verstehe ich mich gerade nicht allzu gut«, gestand Dusty.
»Liebes, ich frage mich, wie das kommt.«
Dusty war beeindruckt, wie flott Julien Tomasz’ Foto einscannte. Sie hatte ihn nie für sonderlich technisch beschlagen gehalten, aber er ging sehr gewandt mit der Maus um und benutzte Ausdrücke wie »Jpeg« und »Pixel« mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit.
»Und was genau ist so ein Pixel, so was wie ein kleines Elflein vielleicht?«, fragte Dusty.
Das war zwar nicht besonders lustig, aber Dusty wusste, es war die Art Witz, über die Julien lachen konnte.
»Du bist ein Schwachkopf«, sagte Julien.
In der Mehrzahl der Kontexte hätte »Du bist ein Schwachkopf« nicht als Friedensangebot gegolten, doch dies war nicht die Mehrzahl der Kontexte, dies waren Julien und Dusty, die Tunte und die Schreckschraube, und in ihrer über die Jahre entstandenen Privatsprache war »Du bist ein Schwachkopf«
schon längst keine Beleidigung mehr, sondern vielmehr das offene Bekenntnis der Zuneigung, wenn nicht gar Liebe.
»Tut mir leid, dass ich mich so halbseiden benommen habe«, sagte Dusty, legte ihm den Arm um die Schultern und drückte ihn.
»Das will ich aber hoffen«, erwiderte Julien, doch alle Schärfe war aus seinem Ton gewichen.
Der Bildschirm des Mac zeigte jetzt das Foto an.
»Kannst du den Ausschnitt da vergrößern?«, bat Dusty und zeigte auf das Rechteck, das Tomasz eingezeichnet hatte.
Ein Summen von nebenan. Jemand hatte die Galerie betreten. Julien strich sich mit beiden Händen das Haar zurück und ging, um Geschäfte der nicht-halbseidenen Art zu tätigen.
Nach einer Weile hörte Dusty eine Männerstimme mit französischem Akzent. Dann Julien, der erwiderte: »Aber selbstverständlich, es herrscht in letzter Zeit wieder große Nachfrage nach Kunst aus dieser Gegend. Ganz ehrlich, die Wüstenmalerei hängt den Leuten allmählich ein bisschen zum Hals raus. Irgendwann stehen einem diese ganzen Punkte wirklich bis dorthin.«
Dusty unterdrückte ein Kichern - die Punkte stehen einem bis dorthin!
Julien spulte sein Programm ab: »Sie haben doch sicher von Russell Crowe gehört?«
»Aber natürlich, mais oui «, sagte der Franzose.
»Also, der hat sich neulich erst sehr interessiert an einem Stück gezeigt.«
Man bestellte Kaffee. Unterhielt sich über den Zauber von Paris - der Stadt, nicht der Schlampe. Jetzt sprachen sie vom Essen. Dusty wusste, das konnte ewig dauern. Zu allem
Überfluss probierte Julien auch noch sein Schulfranzösisch an dem armen Gallier aus.
Sie blickte auf den Mac. Auf das mächtige Photoshop. Sie erzitterte, fühlte sich klein und unwürdig.
Am rechten Bildschirmrand war ein Haufen Symbole in einem schmalen Rechteck zusammengepfercht. Da waren eine schwabbelige Hand, ein altmodischer Füllfederhalter, ein Wassertropfen, doch was ihre Aufmerksamkeit fesselte, war die
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