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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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automatisch davon ausging, die Ladys würden sich darum kümmern. Und es gab niemanden, der die Gespräche belauschte, die sie beim gegenwärtigen Stand der Dinge zumeist mit sich selbst führte.
    Polizeiarbeit ist oft ganz schön nervig: Man folgt Spuren, von denen man weiß, dass sie nirgendwohin führen, und vernimmt Leute, von denen man weiß, dass sie nichts zu sagen haben. Man geht nach Vorschrift vor. Arbeitet Listen ab. Der ganze Kleinkram, der im Fernsehen nie gezeigt wird, weil sich mit einer Stunde Sendezeit - minus Werbung -, in der nichts Spannenderes passiert, als dass ein pickelgesichtiger Constable an Haustüren klopft, Big Brother quotenmäßig einfach nicht ausstechen lässt. Noch nicht.
    Wäre Dusty nach wie vor eine große Nummer bei der Mordkommission, hätte sie nach wie vor die geballte Macht der Northern Territory Police Force hinter sich, dann wäre jetzt alles ganz simpel. Aber so war es nicht - sie konnte es
sich nicht erlauben, jeder Spur nachzugehen, und musste daher auf etwas anderes zurückgreifen: Erfahrung, Intuition, eine Ahnung, was auch immer.
    Jedenfalls sagten ihr alle drei, dass sie noch einmal an den Billabong müsste.
    Nicht allein, damit wäre nichts erreicht. Sie musste jemanden mitnehmen, jemanden, der »das Auge« hatte.
    Die Forensik, den Zauber der Weißen, konnte sie sich abschminken. Solange John noch im Krankenhaus lag, hätte sich keiner von denen von Dusty auf ein Freibier und eine Portion Bratkartoffeln in den Pub einladen lassen, ganz zu schweigen davon, dass einer den weiten Weg zum Billabong auf sich genommen hätte. Blieb also nur die zweite Art von Zauber: Aborigine-Zauber.
    Mittlerweile setzte die NT Police nur noch selten Aborigines als Spurenleser ein. Im Grunde sahen die meisten Polizisten darin lediglich einen romantischen Outback-Mythos - der Ureinwohner, der mit seinem unermesslichen, geradezu übernatürlichen Wissen um das Land jeden Riss in seinem Gewebe, und sei er noch so klein, unfehlbar erkennt.
    Nicht so Dusty. Sie griff zum Telefon.
    »Angagarra Council«, meldete sich eine Frau.
    Dusty war mehrfach in der Angagarra-Gemeinschaft gewesen - ein bezauberndes Fleckchen, das südlich von Katherine am Ufer des Roper River lag. Sie sah das Verwaltungsgebäude vor sich, in dem die Frau saß, die architektonische Einfallslosigkeit gnädig von den ausladenden Eukalypten verhüllt, die das Haus und die knallbunte Wandmalerei, die sich über die gesamte Vorderseite zog, in ihren Schatten tauchten. Sie sah auch Teddys Haus vor sich, das nur eine Minute zu
Fuß entfernt lag, und Teddy selbst, der auf der Veranda saß und einen Nachrichtensender im Radio hörte.
    »Detective Dusty Buchanon hier, ich hätte gern gewusst, ob Teddy Daylight zu sprechen ist?«
    »Hat er schon wieder was ausgefressen?«, erwiderte die Frau und lachte.
    Dusty verstand den Witz: Teddy trank nicht, rauchte nicht und gehörte zu den Ältesten der Gemeinschaft.
    »Nein, ausnahmsweise nicht«, sagte Dusty.
    »Einen Moment, ich gehe ihn holen.«
    Nach zwanzig Minuten, während derer Dusty etliche Leute hörte, die ins Büro kamen und wieder gingen und sich teils auf Englisch, teils in der Aborigine-Sprache unterhielten, kam sie zu dem Schluss, dass die Frau sie vergessen haben musste, und legte auf.
    Als sie wieder anrief, war belegt. Eine halbe Stunde später kam sie endlich durch.
    Am Apparat war wieder die Frau von vorhin. »Angagarra Council.«
    »Detective Dusty Buchanon.«
    »He, wo sind Sie denn auf einmal gewesen?«
    »Ich dachte, Sie hätten mich vergessen.«
    »Er ist jetzt da.«
    Dusty hörte die Frau etwas in der Aborigine-Sprache sagen - und sie konnte sich ziemlich genau zusammenreimen, was das war: Da ist wieder diese weiße Polizistin mit dieser typischen Ungeduld.
    »Teddy!«
    »Dusty!«
    Nach dem üblichen Geplänkel kam Dusty zur Sache. »Hast du Lust, ein bisschen für mich zu arbeiten?«

    »Ich arbeite nicht mehr.«
    »Das sagst du jedes Mal.«
    »Aber diesmal stimmt es. Augen sind hin.«
    Teddy litt am Trachom, einer verhütbaren aber in den Aborigine-Gemeinschaften weit verbreiteten Form der Konjunktivitis.
    »Aber du warst doch beim Arzt.«
    »Ich war beim Arzt, und der sagt: Augen hin.«
    Es gab auch andere Spurenleser, aber die waren nicht so gut: Entweder würden sie irgendwann die Lust verlieren, oder ihr Englisch reichte nicht aus.
    »Gibt es jemand anderen?«, fragte Dusty auf die geringe Chance hin, dass es jemanden gäbe, von dem sie noch nichts gehört

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