Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
Tomasz, nahm Dusty an - ein schwarzes Rechteck eingezeichnet. Und neben das Rechteck hatte er »Mensch?« geschrieben.
    Wie, Mensch? Dusty sah da keinen Menschen. War das Tomasz’ Vorstellung von einem Scherz? Oder war es wieder einmal ihr eigenes Unvermögen, ihr schlechtes Auge?
    Den ersten Gedanken - damit zur Spurensicherung zu gehen - gab sie gleich wieder auf. Sie war kein Detective mehr - sie konnte nicht mehr einfach irgendwas irgendwo abladen und warten, bis sie das Ergebnis auf dem Tisch hatte. Sie konnte auch keinen Gefallen erwarten. Denn seit Johns Unfall war ihr Name bei der Spurensicherung Gift.
    Da stand Dusty nun, Entlassungsgesuch in der einen Hand, Vogelfoto in der anderen, und die Gedanken schwirrten. Es kam ihr wie Minuten vor, aber wahrscheinlich waren es nur Sekunden. Letztlich überließ sie die Entscheidung dem Schicksal und warf gedanklich eine Münze - Kopf, ich geh da lang, Zahl, ich tu’s nicht. Es wurde Kopf, und Dusty verließ das Präsidium und stieg ins Auto. Erst als sie irgendwann an einer Ampel hielt, wurde ihr klar, dass die Münze auf beiden Seiten Kopf zeigte.

33
    Seine erste Galerie hatte Julien in der Greening Street gehabt, eingekeilt zwischen einer Schlosserei und einem Tätowierstudio. Er hatte Dusty weiszumachen versucht, andere Galerien würden ihm nachfolgen, und dieser Teil Darwins werde sich zum Kunstviertel mausern, dem Top-End-Pendant zum Londoner Soho oder Woollahra in Sydney. Er lag nicht ganz daneben - ein zweites Tätowierstudio machte auf, und aus Juliens Kunstviertel wurde ein Körperkunstviertel.
    Mittlerweile war er auf die Mitchell Street gezogen, wo er zwischen einem Internetcafé und einem Reisebüro residierte. In beiden Etablissements herrschte permanenter Hochbetrieb - Julien hatte den Eindruck, dass die Rucksacktouristen mehr Zeit damit verbrachten, E-Mails über ihre exotischen Aufenthaltsorte zu versenden, als sie tatsächlich zu erleben.
    Es war schwierig, Kunst zu verkaufen, ganz besonders diese Kunst. Selbst Leuten, denen sie gefiel, fehlte oft der Mut, dem eigenen Geschmack zu trauen. Sie brauchten ein Gutachten, irgendein Geschreibsel, die Bestätigung, dass Elton John ein solches Werk besaß, oder Russell Crowe, oder die Kleine, die bei Australien sucht den Superstar den dritten Platz belegt hatte.
    Julien schenkte seinem Caffè Latte die volle Aufmerksamkeit. Im Tropicana, seinem bevorzugten Café, hatte der Barista gewechselt, und Julien war nicht sicher, ob der Kaffee noch immer denselben, hohen Ansprüchen genügte. Dafür verfügte der neue Barista über andere Qualitäten: Er war wahnsinnig schnuckelig und wahnsinnig schwul.

    Die Tür ging auf, und ein Pärchen in den Dreißigern stolzierte herein - groß, gut gekleidet, gut gepflegt. Zeit fürs große Reisepassraten, ein Spiel, bei dem Julien, seiner eigenen Meinung nach, so leicht keiner was vormachte. Hier lag kein Fall von Jeansstoff auf Jeansstoff vor, keine Kleidungsstücke im Partnerlook, keine baumelnden Kameras - Amerikaner waren sie schon mal nicht. Pommies schieden ebenfalls aus: Dafür sahen sie zu gebildet und zu gesund aus. (Nicht, dass es keine gebildeten, gesunden Pommies gäbe, bei Parkinson sah man andauernd welche. Nur schafften die es leider nie bis ans Top End.) Nein, das waren eindeutig Eurowesen. Sandalen, aber keine Socken. Deutschland streichen. Madame et Monsieur oder Señora y Señor.
    »Guten Morgen«, grüßte Julien.
    »Guten Morgen«, erwiderten beide in akzentfreiem Englisch.
    Mist, dachte Julien. Das wird schwieriger als sonst.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Wir möchten uns nur gerne in der Galerie umsehen«, antwortete der Mann.
    Hab ich dich!, triumphierte Julien. Es war kaum wahrnehmbar, aber es reichte aus. »Da« statt »der«. Da Galerie .
    »Sie kommen aus den Niederlanden?«, erkundigte sich Julien und achtete darauf, nicht versehentlich Holland zu sagen.
    »Ja, das stimmt«, erwiderte die Frau.
    Das hatte nun wirklich nichts mit Rassismus zu tun, es war einfach so, dass Julien manche Nationalitäten mehr behagten als andere. Er hatte nicht eine antisemitische Faser im Leib, aber wenn fortan kein einziger Israeli mehr sein Geschäft beträte, er könnte es verschmerzen. Gleiches
galt für Südafrikaner. Die Holländer dagegen sprachen gut Englisch, waren in der Regel tolerant - schwulenfreundlich also -, und ihre Fußballnationalmannschaft lief in leuchtendem Orange auf. Wie sollte man sie nicht lieben?
    »Dann kann ich Sie bestimmt

Weitere Kostenlose Bücher