Vor dem Regen - Roman
auf einen Kaffee einladen?«
Die Frau sah den Mann an. Der nickte.
»Danke, gern.«
» Slagroom ?«, fragte Julien nach. Er war ein paar Mal in Amsterdam gewesen. Die Stadt war toll, aber es machte ihn einfach fertig, wenn er einen Cappuccino bestellte und der dann einen wahren Berg Sahne trug, slagroom eben.
Die Frau lächelte Julien an. »Ohne slagroom .«
Julien bestellte den Kaffee per Telefon, und die Niederländer sahen sich derweil um. Nach zehn Minuten öffnete sich die Tür, und da stand er, der wahnsinnig schnuckelige, wahnsinnig schwule Barista. Er war Eurasier - Julien tippte auf Singapur oder Malaysia.
»Stell sie einfach auf die Theke, danke.«
Der Barista erfüllte Julien den Wunsch.
»Wie heißt du eigentlich?«
»Stewart«, antwortete er. »Aber nenn mich doch …«
Bitte nicht Stuey, flehte Julien innerlich. Ich könnte niemals etwas mit einem Stuey anfangen.
»Stewart«, sagte Stewart mit einem altmodischen Zwinkern.
»Okay, Stewart. Bis bald.«
Dusty besuchte Julien nur selten an seiner Arbeitsstätte und wenn, dann am späten Nachmittag, wenn sie Dienstschluss hatte. Es war also eine echte Überraschung, als sie nun mit einem großen Vogelfoto in der Hand in die Galerie stürmte.
»Julien«, grüßte sie atemlos und wie im Bann einer zwanghaften Energie, die ungewohnt für sie war - sonst war sie immer so gesammelt, so in sich ruhend. »Gott sei Dank bist du da.«
Was redet sie da?, dachte Julien. Ich bin immer hier.
»Kaffee, super«, sagte sie und nahm sich einen der Becher von der Theke. Sie hatte ihn halb leergetrunken, bevor Julien ihn wieder an sich nehmen konnte.
»Dusty!«, protestierte er mit einem Kopfnicken zu den Niederländern. »Was ist denn los mit dir?«
Und nicht nur das, hatte sie etwa den Streit vergessen? Wusste sie nicht, dass sie nicht mehr miteinander redeten? So ging das nicht. Da wurden zögerliche SMS ausgetauscht, dann telefonierte man, und ganz zuletzt gab es ein Treffen. Da flossen dann ein paar Tränen, und nach einer abschließenden Versöhnungsumarmung konnten sie schließlich wieder Freunde sein.
»Ich brauche Hilfe«, sagte Dusty.
»Ach was?«
»Du hast doch einen Scanner, oder?«
Seit letztem Jahr hing das Maningrida Arts Centre am Netz, und anstatt jemandem dafür ein Vermögen in den Rachen zu werfen, hatte Julien es lieber gleich selbst gemacht - er hatte die Hardware gekauft, ein paar Kurse an der Volkshochschule belegt und seine eigene Homepage gestaltet.
»Ja, ich habe einen Scanner.«
»Und Photoshop?«
»Und Photoshop.«
Julien glich den Füllstand der Becher aus und wandte sich seiner Kundschaft zu. »Der Kaffee ist da.«
»Ich brauche -«, setzte Dusty an, aber Julien schnitt ihr das Wort ab.
»Jetzt warte mal. Hier geht’s ums Geschäft, klar?«
Die Niederländer interessierten sich für den Druck einer Provianttasche der Frauenkooperative Maningrida.
»Es gefällt mir, weil es so schlicht ist«, erklärte die Frau.
Julien war ganz ihrer Meinung. Genau das liebte auch er so an der Maningrida-Kunst - ihre Schlichtheit. Andauernd tauchten Aborigines aus der Wüste bei ihm auf und baten ihn, ihre Gemälde zu verkaufen. Er sah sie sich natürlich an, es wäre ein Affront, das nicht zu tun, aber das meiste davon konnte er nicht ausstehen - Traumzeit, die zu Alpträumen auf Leinwand geronnen war.
Die Niederländer hatten Fragen über Fragen. Wann war es entstanden? Aus welcher Gemeinschaft stammte es? Wie viel von dem Geld geht an die Künstlerin? Julien antwortete umfassend - es war ein Vergnügen, mit solchen Menschen Geschäfte zu machen -, doch die ganze Zeit über hing ihm Dusty im Nacken, die herumschlurfte, sich räusperte, seufzte und dazu einen wenig subtilen Jetzt-machschon-Laut nach dem anderen absonderte.
»Können Sie mir etwas über die Künstlerin sagen?«, bat die Frau.
Mit beträchtlichem Stolz zog er die Künstlerakte aus dem Schränkchen. »Hier ist ein Foto«, sagte er und zeigte ein Porträt.
Dusty kam näher, das Vogelfoto immer noch fest in der Hand, und betrachtete den Druck.
»Das ist wirklich exquisit«, behauptete sie mit einem Akzent, der nach Oberklasse klingen sollte, Grundvoraussetzung für jeden ernsthaften Kunstinteressenten, der sich aber,
wie alle von Dustys Akzenten, allenfalls vage indisch anhörte. »Ist das der einzige, den Sie haben?«
Julien hätte Dusty am liebsten umgebracht und dann in Formaldehyd eingelegt, ganz Damien Hirst, und ein Etikett draufgeklebt: »Schlechte
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