Vor dem Regen - Roman
tue.«
Gerard zuckte die Achseln.
»Das«, sagte Dusty und zupfte an der Uniform, »ist nur vorübergehend, verlass dich drauf.« Eine ausholende Handbewegung. »So toll ich es auch finde, was du hier aufgebaut hast, ich habe wirklich nicht die Absicht, mich auf Dauer hier einzurichten.«
Gerard hatte früher schon mit Dusty zusammengearbeitet. Sie war als Beraterin an der Entwicklung des neuen, computergestützten Spurenabgleichssystems beteiligt gewesen. Sie hatte ihn beeindruckt: Sie war klug, wortgewandt und verfügte über die seltene Gabe, sich nicht mit Kleinscheiß aufzuhalten, sondern sofort zum Kern der Sache zu kommen. Dennoch war diese Art Unverblümtheit selbst unter Polizisten ungewöhnlich. Gerard wusste nicht recht, was er tun oder sagen sollte.
Aber das machte nichts. Dusty hatte offensichtlich ausreichend Gesprächsmaterial für sie beide.
»Was ich mir wünsche, ist, dass du mich irgendwo hinsetzt, wo ich aus dem Weg bin. Behaupte einfach, dass ich an einer komplett idiotischen Fleißaufgabe dran bin, Prozesstransaktionsanalyse, was weiß ich. Ich komme dir nicht in die Quere. Du lässt mich in Ruhe. Und bevor du dich’s versiehst, bin ich wieder weg.«
Gerard war gleichzeitig erleichtert - anscheinend hatte Detective Buchanon es doch nicht auf seine Stelle abgesehen - und vergrätzt: Für wen hielt die sich denn, ihn derart herumzukommandieren? Sie waren hier schließlich im Schuppen - und der war sein Reich.
»Und wieso sollte ich das tun?«
»Weil eine Frau ermordet wurde. Und ich herausfinden werde, von wem.«
Es gab nur zwei Personen, die wirklich wussten, was an jenem Tag auf dem Track passiert war, aber weder Detective Buchanon noch John Goode - der noch immer im Krankenhaus lag - äußerten sich dazu. Blieben also die Gerüchte, die sich vermehrten wie Aga-Kröten. Zwar unterschieden sie sich im Detail - das haben Gerüchte mit Aga-Kröten gemein -, aber in einem waren sich alle einig: Detective Buchanon hatte etwas gesehen, was es nicht gab. Und nun stand sie vor ihm und strahlte eine feste Überzeugung, eine unerschütterliche Gewissheit aus, die ihn an die evangelikalen Prediger seiner Kindheit erinnerte.
Eine Frau wurde ermordet. Ich werde herausfinden, von wem .
War er nicht genau deshalb zur Polizei gegangen?
»Also?«, drängte Dusty.
Es wäre gar nicht so furchtbar kompliziert, ihren Wunsch zu erfüllen. Die vorgesetzten Dienststellen betrachteten den Schuppen als eine Art Camera obscura - solange er zuverlässig
funktionierte, wollten sie gar nicht allzu genau wissen, was in ihm vor sich ging.
»Irgendwo, wo du aus dem Weg bist?«, rekapitulierte er.
Dusty nickte.
»Na gut, dann komm mit.«
Vorbei an endlosen Reihen dicht gedrängter Regale führte Gerard Dusty in ein winziges Kämmerchen tief im Innern des Schuppens. Es gab kein Tageslicht, keinen natürlichen Luftaustausch, und die Farbgebung hielt sich streng an die lang erprobte Kombination von beige, beige und beige. Durch das einzige Fenster fiel der Blick auf all das, womit der Schuppen angefüllt war - Pappkartons voller Asservate, von denen viele mit Sicherheit dazu beigetragen hatten, ein unnatürliches Ableben herbeizuführen.
»Die Jungs fanden es hier immer ein bisschen zu gruselig«, erläuterte Gerard den ungenutzten Zustand der Kammer.
Er war zwar kein abergläubischer Mensch, konnte aber nachvollziehen, dass jemand, der zu so etwas neigte und ganz allein hier saß, schnell auf merkwürdige Gedanken verfiel.
»Kein Problem«, sagte Dusty, die schon am Schreibtisch saß und ihren Laptop auspackte.
»Und wenn ich irgendwie behilflich sein kann …«, erbot sich Gerard.
»Ist das dein Ernst?«
Wieder war Gerard nicht auf Dustys Unverblümtheit gefasst. »Wie bitte?«
»War das bloß eine Höflichkeitsfloskel, oder meinst du das ernst?«
»Das meine ich sehr ernst.«
»Dann werde ich deine Hilfe definitiv brauchen können.«
»Gut, du kannst dich auf mich verlassen.«
Auf dem Weg zurück in sein Büro fragte sich Gerard, worauf er sich da eingelassen hatte.
Eine Frau wurde ermordet. Ich werde herausfinden, von wem .
36
Ein eigenes Büro hatte natürlich seine Vorteile.
Das fing schon mit der Musik an. Dusty konnte sich auf dem Laptop iTunes und ihren Lieblingsradiosender anhören - Boot Liquor (Musik für den müde gerittenen Cowboy) -, ohne damit den Zorn ihrer Country hassenden Kollegen auf sich zu ziehen. In der Spüle stapelten sich keine dreckigen Tassen, weil Fontana ganz
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