Vor dem Regen - Roman
nickte.
»Zum Prozess gegen Gardner ist er noch mal rübergekommen, aber seitdem hatten wir keinen Kontakt mehr. Angeblich soll er nach Afrika gegangen sein.« Dusty steckte das Foto weg. »Möchtest du eine Pause machen?«
»Nein, es geht schon«, sagte Gerard und setzte die Sonnenbrille auf.
Die Monsunströmung reichte nicht bis hierher, und es gab keinen Build-Up. Der Himmel war wolkenlos, und sie fuhren direkt in die sinkende Sonne.
»Sag mal, wie hat’s dich eigentlich zur Polizei verschlagen?«, wollte Dusty ohne Vorwarnung wissen.
»Mein alter Herr war Polizist.«
»Meiner auch.«
»Ohne Scheiß?«
»Eigentlich sogar jede Menge Scheiß.«
Darüber mussten sie beide lachen.
»Und wie bist du im Schuppen gelandet?«, fragte Dusty.
»Medialer Bandscheibenvorfall, Lendenwirbel L 4 -L 5 .«
»Dir hat’s den Rücken zerlegt?«
»Totalschaden.«
»Merkt man dir gar nicht an.«
»Nur, weil ich mich um meinen Muskelapparat kümmere.«
»Pilates?«
Gerard nickte.
Die Sonne ging eben unter, als sie die Grenze nach Western Australia passierten - der Himmel eine aufgeschlitzte Kehle, aus der es rot hervorquoll. Gerard drosselte das Tempo auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Sie waren an etlichen Kängurus vorbeigekommen. Um fünf vor halb zehn hielten sie vor dem Kanulla Motel.
»Siebeneinhalb Stunden«, konstatierte Gerard mit einem Blick auf die Rolex Submariner.
Dusty grinste und sah auf ihr taiwanesisches Billigteil. »Genau das hab ich auch.«
48
Er war einer dieser übertrieben fröhlichen, allzu zudringlichen Typen, die es ausschließlich in den speckigen Rezeptionszimmern zweitklassiger Provinzmotels zu geben schien.
»Einen wunderschönen guten Abend allerseits«, grüßte er.
Schuppen hatte er auch.
»Wir hätten gern zwei Zimmer«, sagte Dusty.
»Das wird sich leider nicht machen lassen. Gerade heute ist ein Riesenschwung Bergarbeiter abgestiegen.«
Bei dem fraglichen Bergwerk handelte es sich um die Carlyle Diamond Mine, die dreißig Kilometer nördlich lag und die einzige Existenzberechtigung Kanullas darstellte. In den 1880er-Jahren war man in der Gegend auf Gold gestoßen, und der Ort hatte einen schwunghaften Aufstieg genommen; als dann aber der Goldstrom versiegte und die Schürfer nach Kalifornien weiterzogen, erging es Kanulla nicht anders als so vielen Glücksritterstädten: Ein unaufhaltsamer Abstieg setzte ein. Doch dann wurden Diamanten gefunden. Kanullas zweiter Boom war zwar nicht annähernd so rauschhaft wie der erste, trotzdem war das Städtchen heute einigermaßen wohlhabend. Es gab das Motel/Hotel, einen Supermarkt, eine Tankstelle und eine Grundschule.
»Haben Sie denn gar nichts frei?«, hakte Dusty nach.
»Na ja, die Hochzeitssuite könnte ich Ihnen anbieten, aber die ist natürlich nicht ganz billig.«
»Stehen da zwei Betten drin?«
»Das Sofa lässt sich ausklappen.«
»Gut, die nehmen wir.«
»Könnte ich Sie denn für das Gesamtarrangement erwärmen?
Inklusive einer Flasche Schampus und Dinner im Tiffany’s?«
Am liebsten hätte Dusty ihm ein »Schau ich vielleicht aus, als könnte ich mich für das Gesamtarrangement erwärmen, du Pappnase?«, an den Kopf geworfen.
»Nur das Zimmer bitte. Für eine Nacht«, sagte sie stattdessen.
Gerard insistierte zwar darauf, im Auto zu schlafen, letztlich gelang es Dusty aber doch, ihn zum Sofa zu überreden.
»Weißt du, was ich nicht kapiere?«, fragte Gerard, als sie die Hochzeitssuite mitsamt dreckverkrustetem Whirlpool und windschiefem Bett betraten.
»Was?«, sagte Dusty.
»Wo muss einer herkommen, dass er hier die Flitterwochen verbringt?«
Dusty lachte. »Whyalla.«
»Schlimm?«
»Ich sag’s mal so, da kläffen die Hunde zum Arsch raus.«
Nach dem Duschen gingen sie ins Tiffany’s. Die Steaks waren gut. Der Kaffee nicht. Dusty hatte Gerard aus einer momentanen Eingebung heraus mitgenommen, verfügte er doch über zwei unersetzliche Eigenschaften: ein Auto und die Befähigung, es zu steuern. Dass er sich zudem als guter Unterhalter erwies, war eine unerwartete Dreingabe. Er galt nicht gerade als der funkensprühendste Charmeur im Top End - ein paar Handvoll Schlamm, ein Stöckchen reingerammt, fertig ist der Gerard. Celias Anruf war eine kaum zu überbietende Peinlichkeit gewesen, aber die Offenbarung, und es war eine Offenbarung - Dusty hatte das bislang noch keinem ihrer Kollegen gestanden -, dass sie beide Polizistenkinder waren, hatte sie zusammengeschweißt. Anders
als bei Ärzten,
Weitere Kostenlose Bücher