Vor dem Regen - Roman
was er je getan hatte. Dabei war das mitnichten ein Hinweis auf die Tristesse seines bisherigen Lebens, wie die meisten seiner Kollegen wohl angenommen hätten, sondern vielmehr Ausdruck der völligen Aberwitzigkeit dieser Fahrt. Das fing schon damit an, dass er blaumachte, etwas, was er nie zuvor getan hatte, und dann wurde sein Wagen -
na schön, es war ein Dienstwagen, aber letztlich war er nun mal dafür verantwortlich - von einer Person gelenkt, bei der alles darauf hindeutete, und das munkelte man ja nicht erst seit gestern, dass sie ein wenig neben der Spur war. Und nicht nur das, sie bewegten sich in einem Höllentempo - die Tachonadel hatte sich bei 160 km/h festgefressen - auf ein Kaff zu, in dem Gerard noch nie gewesen war und das in einem Bundesstaat lag, in dem Gerard noch nie gewesen war. Und wozu?
Dieses: Eine Frau wurde ermordet, und ich werde herausfinden, von wem, hatte mittlerweile doch einen arg hochtrabenden Beiklang. Dusty hatte erklärt, wenn jemand sich etwas ausdenkt - einen Namen, eine Straße, egal was -, dann greift er dabei für gewöhnlich auf Bekanntes zurück, die innere Datenbank quasi. Außerdem hatte sie irgendwas von einer Tätowierung gefaselt. Das war’s dann aber auch schon mit ihren Erklärungen.
Aber vielleicht war das ganz normal, überlegte Gerard. Vielleicht habe ich mich so an das unspektakuläre Dasein im Schuppen gewöhnt, dass ich mit dieser spekulativen Ermittlungsarbeit einfach nichts mehr anfangen kann. Vielleicht haben sie alle recht, und ich bin wirklich nur ein Buchhalter.
Dustys Handy dudelte »Alexis Sorbas«. Sie hatte vorhin schon gefragt, ob sie es in die Freisprecheinrichtung schieben dürfe. Natürlich hatte Gerard ja gesagt - er wusste über Johns Unfall Bescheid. Dusty sah erst auf die Nummer und dann zu Gerard. »Macht’s dir was aus?«
»Nein, nur zu.«
»Hallo.«
»Frances.«
»Mum, das ist nicht deine normale Nummer.«
Dusty schaute Gerard an und sagte stumm: »Entschuldige.«
»Ich bin bei Susie, aber ich musste dich einfach anrufen, es geht um dein Zimmer.«
Der affektierte Akzent überraschte Gerard - er wusste schon, dass Dusty aus Adelaide stammte, aber doch nicht aus diesem Adelaide.
»Ich gehe natürlich nicht davon aus, dass du bis in alle Ewigkeit bei mir bleiben wirst, aber bis du dich neu orientiert hast, wird es die bestmögliche Basis sein.«
Am liebsten hätte sich Gerard diskret zurückgezogen und Mutter und Tochter ein wenig Privatsphäre gegönnt. Aber bei hundertsechzig Kilometern die Stunde war daran nicht zu denken.
»Und ich habe dein altes Zimmer in einem ganz bezaubernden Apricot streichen lassen.«
Gerard spürte Dustys zunehmendes Unbehagen. Noch einmal bat sie stumm: »Entschuldige.«
»Das meiste aus deinen Schränken habe ich entsorgt.«
»Mum«, unterbrach Dusty sie, »ich werde nicht nach Adelaide zurückkommen.«
»Es ist nur ein Einzelbett, aber da findet sich -«
»Mum, hör mir bitte zu«, sagte Dusty etwas nachdrücklicher. »Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde den Polizeidienst nicht quittieren, und ich werde nicht aus Darwin weggehen.«
Am anderen Apparat wurde nach Luft geschnappt, dann machte es: Klick !
»Nach Johns Unfall hatte ich überlegt, nach Adelaide zurückzukehren«, erklärte Dusty.
»Du musst ganz schön fertig gewesen sein«, vermutete Gerard.
Dusty sagte nichts.
In Katherine machten sie halt zum Tanken und Fahrerwechsel. Anschließend nahm Gerard nicht den Track über Alice Springs nach Süden, sondern den Victoria Highway nach Westen.
»Ich hoffe, das stört dich nicht«, sagte Dusty und kramte mehrere abgegriffene Notizbücher hervor. »Ich würde gerne noch ein paar Sachen nachschauen.«
»Nur zu.«
Ein Reißverschluss aus Asphalt zerschnitt die baumlose Ebene. Gut möglich, dass diese Landschaft einem Wissenschaftler, einem Künstler oder Mystiker etwas geboten hätte, aber nicht Gerard. Auf ihn wirkte sie nur unfertig und öde. Die entgegenkommenden Fahrer reckten ein bis zwei Finger, manche hoben gar die ganze Hand. Jetzt waren sie also im wirklichen Outback, wo man nicht umhinkam, dem Wagemut des Mit-Pioniers Respekt zu zollen. Gerard bemerkte, dass Dusty ein Foto betrachtete, dasjenige, das in sämtlichen Zeitungen gewesen war: die beiden Jungvermählten Dianna und Greg McVeigh, lächelnd und mit untergehakten Armen am Bondi Beach, bereit für den Aufbruch zur Reise ihres Lebens.
»Was macht er eigentlich mittlerweile?«
»Greg?«
Gerard
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