Vor dem Regen - Roman
überreifen Mangos, nicht einfach vom Boden aufklauben, weshalb Craigs ohnehin schon groteskes Arbeitspensum mittlerweile vollends irrsinnig war.
Der Boden war bereits zweimal umgewühlt worden, so dass das Graben an sich kein Problem mehr darstellte. Und trotzdem nahm Craig sich Zeit und siebte jede Schaufel einzeln aus, damit ihm nur ja keine Spur entging. Währenddessen plauderte er mit Senior Sergeant Barry übers Angeln, über Football und über was Männer sich eben unterhalten, wenn sie Tote exhumieren.
Dr. Monty Singh, der forensische Pathologe, stellte sich neben Dusty.
»Klopf, klopf«, sagte er.
Dusty konnte den klein gewachsenen, redseligen Dr. Singh gut leiden. Sie bewunderte seine Fachkenntnisse, freute sich an seinem archaischen Englisch, und nicht einmal seine grottenschlechten Witze machten ihr etwas aus. Aber jetzt im Moment wünschte sie nichts sehnlicher, als dass er den Mund hielte.
Im Grunde wünschte sie sich, dass alle hier den Mund hielten. Dass sie aufhörten, die immer gleichen alten Witze zu reißen. Schon klar, das war natürlich genau das, was man machte, wenn man vom Tod umgeben war, insbesondere, wenn der Tod, so wie hier, ein plötzlicher und brutaler war. Wenn die eigene Sterblichkeit ganz plötzlich vor einem auftauchte und wie ein Krokodil das hässliche Maul aufriss. Dann blieb einem nichts übrig, als es zu füttern und mit albernem Geschwätz und blöden Witzen abzulenken.
All das wusste Dusty, und dennoch war heute etwas anders; heute wünschte sie sich, dass jeder sich nur auf seine ureigenste Aufgabe konzentrierte, um dem Tatort jeden
noch so kleinen Beweis zu entreißen, die Tote aus der Erde zu bergen, zurück nach Darwin zu bringen und letztlich den Bastard wegzusperren, der ihr das angetan hatte.
»Könnten wir heute ausnahmsweise einmal darauf verzichten, Singhie?«, bat Dusty freundlich.
»Liebe Güte, das nenn ich Hautgout«, sagte Craig mit einem Lächeln. Er trug Einmalhandschuhe, aber weder Gesichtsmaske noch Nasensalbe - wie den meisten langjährigen Spurensicherern konnte auch ihm der Gestank menschlicher Verwesung nichts mehr anhaben. Dr. Singh schien ebenfalls ungerührt, wie er so dastand und schnüffelte, als läge ein exotischer Wohlgeruch in der Luft.
»Wie lange, meinen Sie, liegt sie schon da?«, wollte er wissen.
»Meiner Berechnung nach über vier Wochen.«
»Hmmm, außergewöhnlich pestilenzialische Ausdünstungen.«
»Aber davor lag sie im Wasser, vergessen Sie das nicht.«
»Ja, natürlich. Selbstredend.«
Dusty hatte Dr. Singh alles lang und breit erklärt. Wieso wusste er es nicht mehr? Was war heute bloß mit ihm los? Was war heute mit allen los? Craig hatte zu graben aufgehört und nahm einen Schluck Wasser aus einem Plastikbecher.
»Craig, soll ich vielleicht weitergraben?«, fragte Dusty ungeduldig.
»Ich komm schon zurecht«, entgegnete er und sah sie mit stählernem Blick an.
Langsam trank er aus, dann machte er sich wieder an die Arbeit. Da die Leiche nun ganz nahe war, tauschte er den Spaten gegen eine Kelle. Unwillkürlich trat Dusty näher an
das provisorische Grab heran, und das Absperrband spannte sich über ihr Zwerchfell.
Craig saß auf den Fersen und kratzte mit der Spitze der Kelle an einer bestimmten Stelle den Boden frei.
»Was ist da?«, fragte Dusty eifrig.
Keine Antwort.
»Craig, ich hab Sie was gefragt!«
Craig blickte zu Dusty auf. »Würden Sie mich bitte meine verdammte Arbeit machen lassen?«
»Detective, vielleicht wäre es gut, wenn Sie ein Stück zurückträten«, empfahl Senior Sergeant Barry. »Schmitty braucht seinen Freiraum.«
Er hatte recht - sie stand zu sehr unter Strom. Sie zog sich unter denselben Kajeputbaum wie schon Jamarra zurück, setzte sich in den Halb-Lotos, lehnte den Rücken an den Stamm und schloss die Augen.
»Äffchengedanken«, sagte Vashti dazu - eine gute Umschreibung für all das, was nun in ihrem Hirn herumturnte, Bananen fraß und sich die von Nissen befallenen Ärsche kratzte. Sinn der Übung war es, sie zum Stillhalten zu bewegen. Dusty gab sich Mühe, doch vergebens - wenn überhaupt, dann wurden sie nur noch wilder und quälender.
»Detective!«
Dustys Lider schnellten hoch. Sie sprang auf und lief zu Dr. Singh.
»Ist sie das?«, fragte Craig mit einem süffisanten Grinsen.
Die Leiche war nicht in bester Verfassung. Es dauerte ein Weilchen, bis Dusty sich völlig orientiert hatte. Und selbst als ihr längst klar war, was sie da sah, starrte sie es weiter an,
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