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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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Einkäufe sind. In den Schränkenzu Hause ist genug Essen für ein paar Tage, bis die Läden wieder normal geöffnet haben, und wenn nicht, wird Daddy dafür sorgen, genug einzulagern, ehe der Sturm kommt. Aber der Anblick der Schürze der Kassiererin, die ihr von einer Schulter gerutscht ist und dort hängt, als hätte sie vor lauter Lebensmitteln, die sie einscannen muss, keine Zeit gehabt, sie wieder hochzuschieben, macht mich nervös. Sie besteht aus allen möglichen Rottönen: roter Pferdeschwanz, rote Wangen, rote Hände. Ich stecke meine Hände in die Taschen, und der Schwangerschaftstest, den ich aus der Schachtel gezogen und unter den Gummizug meiner Shorts geschoben habe, als ich mich von Skeetah entfernte, um auf die Toilette zu gehen, kratzt mich an der Taille.
    Vielleicht habe ich ihn wegen China mitgenommen. Ich weiß, dass irgendwas nicht stimmt; seit Wochen muss ich mich jeden zweiten Tag übergeben, laufe herum mit dem Gefühl, als würde jemand meinen Bauch massieren und versuchen, das Essen nach oben und aus mir heraus zu schieben. In manchen Monaten, wenn ich ein bisschen weniger esse, weil ich die ewigen Instant-Nudeln oder Kartoffeln leid bin, kommt es unregelmäßig. Aber wegen der Übelkeit und dem Erbrechen denke ich, ich sollte einen Test machen; deswegen, und weil ich schon zwei Monate verspätet bin und weil sich mein Bauch jeden Morgen beim Aufwachen voll anfühlt, fleischig, wund und feucht, als würde das Blut jeden Augenblick zu fließen anfangen – nur tut es das nicht. Ich denke zurück an all die Male, wo ich Sex hatte, und mir scheint, zu jeder Erinnerung gehören goldene oder silberne Kondomverpackungen, wie Schokoladentaler, die in Goldfolie gewickelt sind, damit sie wie Münzen aussehen, die die Jungs zurücklassen, wenn sie aufstehen, wenn wir uns voneinander lösen. Daran denke ich, als ich die Frau halb auf der Straße, halb im Gras liegen sehe.
    »Da ist eine Frau«, sage ich.
    »Und da ist ein Auto«, sagt Skeetah. Und tatsächlich, da steht, zwischen den Kiefern eingeklemmt wie eine Katze, die an einem Stamm hochklettert, ein Auto. Es sieht aus, als sei es dort hingesprungen, um herauszufinden, wie Borke sich anfühlt, und hätte sich dann umgedreht, um sich am Baum festzuhalten.
    »Wussten die nicht, dass man hier langsamer fahren muss?«, fragt Skeetah. »Sind doch überall Schilder.«
    »Sind vielleicht nich von hier«, sage ich, denn drüben im Graben läuft ein Mann hin und her und hält sich den Kopf. Blut fließt an der Seite seines Gesichts hinunter, durch seine Finger und über seine Unterarme. Er konnte nicht wissen, dass die Straße sich hier, an der Stelle des Bayou, die am schwierigsten zu befahren ist, wie sein Blutstrom krümmen würde. Er konnte nicht wissen, dass die Straße sich an jedes bisschen trockenen Boden hielt, der zu finden war, und dass hier nicht der richtige Ort war, schneller zu fahren als erlaubt. Daddy hat seinen Pick-up schon mal hier zu Schrott gefahren, als er betrunken war. Als er nach Hause kam, nachdem die Polizei ihn wieder freigelassen hatte, verfluchte er Dead Man’s Curve geschlagene zwei Stunden lang.
    »Brauchen Sie Hilfe?«, fragt Big Henry durch das Fenster, während wir langsam zum Stehen kommen. Skeetah schaut stur geradeaus, er ignoriert das Geschehen vor seinem Fenster, den auf und ab gehenden Mann.
    Der Mann schaut hoch, steigt aus dem Graben. Es ist, als würde er die Frau nicht sehen, obwohl er so nah an sie herangeht, dass er sie treten könnte. Er hat ein Handy in der einen Hand, das er an sein Ohr presst, und die andere Hand greift in sein dünnes braunes Haar. Er trägt ein weißes Hemd mit weißen Knöpfen, und das Blut hat ihm eine Schärpe wie vom Schönheitswettbewerb auf die Brust gezeichnet.
    »Können Sie mir sagen, wo ich hier bin?«, fragt er. Seine Stimme ist laut, so als würde er einen alten Menschen anbrüllen, derschwerhörig ist. »Ich rufe gerade den Notruf an, und die müssen wissen, wo ich bin.«
    »Sagen Sie Ihnen, Sie sind zwischen Bois Sauvage und St. Catherine, am Bayou. Sagen Sie, die nächste Straße ist Pelage, und Sie sind kurz vor der Dedeaux Bridge.«
    Der Mann nickt, öffnet den Mund, um zu sprechen.
    »Ich bin …« Er schließt ihn wieder. »Könnten Sie? Ich bin …« Er streckt den Arm durch das Beifahrerfenster, hält Skeetah mit roten Fingern das Telefon vors Gesicht. Skeetah zuckt nicht zurück, rührt sich aber auch nicht. Stattdessen starrt er durch die Hand des Mannes

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