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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Grenadiere, und unablässig liefen Kommandoworte die lange Reihe der Bataillone hinunter.
    Als Lewin sich nach seinen Gefährten umsah, standen sie abgewandt. Von ihrem alten Stolze war nichts übriggeblieben als die Scham über ihr Elend. Er wollte nicht sehen, was er nicht sehen sollte, und richtete deshalb sein Auge wieder auf die Kolonne, die jetzt mit dem letzten ihrer Bataillone defilierte. Erst als auch dieses vorüber war, legte er seine Hand leise auf die Schulter des ihm Zunächststehenden und sagte: »Eh bien, hâtons-nous!«
    So schritten sie, ohne daß weiter ein Wort gesprochen worden wäre, die Wilhelmsstraße bis nach dem Rondel hinunter.
    Als sie eine Viertelstunde später hier schieden, stellten sich die fünf Weißmäntel wie in Reih und Glied nebeneinander und legten salutierend die Hand an den Korb ihres Pallasch. In ihrem Auge aber lag, was ein edles Herz am meisten erschüttert: der Dank des Unglücks.
     
Dreizehntes Kapitel
     
Ein Billet und ein Brief
    Und solche Gegensätze, wie sie Lewin an jenem Vormittage, der für ihn wenigstens die Schnatermannsche Jagdpartie scheitern sah, beobachtet hatte, brachte von da ab jeder Tag: durch die nordöstlichen Tore der Stadt zog das Elend, durch die westlichen der Glanz des Krieges herein. In den Straßen aber begegneten beide einander und sahen sich verwundert, oft beinahe feindselig an. »So waren wir«, sagten die finstern Blicke der einen, aber das entsprechende: »So werden wir sein« erlosch in dem Leichtsinn und der Eitelkeit der anderen.
    Unter den Berlinern, die nach ihrer Gewohnheit nicht leicht einen Truppeneinzug der einen oder anderen Art versäumten, nahm sich jeder aus diesem Gegensatz der Erscheinung das heraus, was ihm paßte, und auch in dem Kreise unserer Freunde, das Ladalinskische Haus mit eingeschlossen, gingen die Ansichten darüber weit auseinander, ob der in seinem schmutzigen, am Wachtfeuer halb verbrannten Mantel heranmarschierende Veteran oder der riesige, goldbetreßte und paukenschlagende Mohr des Grenierschen Corps als das richtigere Bild des Kaiserreiches anzusehen sei. Bninski, der mit Hilfe einer nach Polen hin lebhaft geführten Korrespondenz von den bedeutenden Truppenmassen unterrichtet war, die sich eben damals, unter dem Befehl des Vizekönigs, in den Weichselfestungen, im Warschauschen und Posenschen zusammenzogen, sah durch das Eintreffen frischer Divisionen aus dem Süden, von deren Existenz er selbst keine Ahnung gehabt hatte, nicht nur jede momentane Gefahr des Kaiserreichs beseitigt, sondern knüpfte auch an diese scheinbare Unerschöpflichkeit aller Hilfsquellen die weitgehendsten Hoffnungen, während andererseits Jürgaß, Hirschfeldt und von Meerheimb – besonders dieser letztere, der die totale Deroute vor Augen gehabt hatte – an ein Wiederaufgehen des Napoleonischen Sternes nicht glauben wollten.
    »Er mag neue Armeen aus der Erde stampfen«, sagte Meerheimb, »aber nicht solche, wie zwischen Smolensk und Moskau begraben liegen.«
    Lewin, unpolitisch und seiner ganzen Natur nach abhängig vom Moment, kam zu keiner bestimmten Überzeugung und sah das Kaiserreich sinken und sich wieder heben, je nach den heitern oder tristen Szenen, deren zufälliger Augenzeuge er sein durfte.
    Eine Woche war vergangen, wieder ohne Kastaliasitzung, was in der peinlichen Akkuratesse seinen Grund hatte, mit der seitens aller Mitglieder an ihrem »Dienstage« festgehalten wurde. Dieser letzte Dienstag aber hatte, mit Einrechnung der Gäste, so ziemlich den halben Kastaliabestand: Jürgaß, Bummcke, Tubal, dazu Hirschfeldt und Meerheimb nach Potsdam entführt, wo am darauffolgenden Tage die Konfirmation des Kronprinzen in der Schloßkapelle und daran anschließend ein Gottesdienst in der Garnisonkirche stattfinden sollte. Tubal machte den Ausflug in Begleitung seines Vaters, der eine direkte Einladung, der Feierlichkeit beizuwohnen, erhalten hatte. Auch die Gegenwart Kathinkas wäre dem Geheimrat erwünscht gewesen, war aber, zu sichtlichem Verdruß desselben, von der an selbständiges Handeln gewöhnten Tochter abgelehnt worden. Sie kannte nichts Ermüdenderes als Zeremonien, namentlich kirchliche, und zog es vor, »zu festlicher Begehung des Tages« sich für Mittwoch abend – an dem, zu später Stunde erst, die nach Potsdam hin Geladenen zurückerwartet wurden – bei der schönen Gräfin Matuschka anmelden zu lassen. Für den dann folgenden Donnerstag war seit Anfang der Woche schon eine kleine, nur den engsten

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