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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Zelt« zu, wo sie, da zwölf Uhr mittlerweile herangekommen war, ein Dejeuner bestellten.
    Unter lebhaftem Geplauder, das sich abwechselnd um Yorck und das Augereausche Plakat, um Spontinis »Vestalin« und die Konfirmation des Kronprinzen drehte, wurde Lewin der Verstimmungen Herr, die der Vormittag mit sich gebracht hatte, und sah sich nur flüchtig wieder daran erinnert, als er, beim Herausnehmen seiner Brieftasche, das seiner Form und Farbe nach einigermaßen auffällige Billet Kathinkas zur Erde fallen ließ.
    »Ei, Vitzewitz«, sagte Löschebrand, »ein Billet doux! Immer neue Seiten, die wir an ihm kennenlernen; nicht wahr, Marwitz?« Dieser bestätigte, und im nächsten Augenblicke war der Zwischenfall vergessen.
    Es mochte vier Uhr sein oder nur wenig später, als Lewin wieder in den Flur seines Hauses trat und sich an dem alten, längst spiegelglatt gewordenen Treppengeländer die halbweggelaufenen Stufen hinauffühlte.
    Er fand oben einen Brief vor, in dessen Aufschrift er, trotz des schon herrschenden Halbdunkels, leicht die Hand seines Vaters erkennen konnte. Die Scheiben glühten noch im Abendrot. Er trat deshalb an das Fenster und las:
     
    »
Hohen-Vietz
, den 20. Januar
     
    Lieber Lewin!
    Das Hohen-Vietzer Ereignis der vorigen Woche hat Dir Renate mitgeteilt, und Deiner umgehenden Antwort hab ich entnehmen können, daß Du das Unglück, denn ein solches bleibt es, mit derselben geteilten Empfindung ansiehst wie wir alle. Eine niedergebrannte Scheune des Wirtschaftshofes und nun ein in Asche gelegter Flügel des Herrenhauses gewähren freilich keinen erfreulichen Anblick, am wenigsten den der Ordnung: aber sind es denn Zeiten der Ordnung überhaupt, in denen wir leben? Und so stimmen die Brandstätten zu allem übrigen. Nichts mehr davon. Es steht mehr auf dem Spiel als das.
    Unsere Organisation ist beendet. Ich sehe Drosselstein, der mehr Eifer entfaltet, als ich bei seiner reservierten Natur erwarten konnte, beinahe täglich, ebenso Bamme, mit dem ich mich auszusöhnen beginne. Er ist Feuer und Flamme, und seinen beleidigenden Zynismus, von dem er auch jetzt nicht läßt, paart er mit einer Selbstsuchtslosigkeit, ja, ich muß es sagen, mit einer gelegentlichen Höhe der Gesinnung, die mich in Erstaunen setzt. Nächst ihm ist Othegraven der tätigste. Er hat einen großen Einfluß unter den Bürgern, und die Schüler der beiden oberen Klassen hängen an jedem seiner Worte. Das Pedantische, das ihm sonst eigen ist, hat er entweder abgestreift, oder, weil es in einem starken Glauben an sich selber wurzelt, unterstützt es wohl gar die Wirkung seines Auftretens.
    Wenn ich sagte, unsere Organisation sei beendet, so hatte ich dabei nur unser Barnim und Lebus im Auge; an anderen Orten fehlt noch manches, so namentlich in den durch ihre Lage so wichtigen Dörfern
jenseits
der Oder. Wir
diesseits
haben eine Landsturmbrigade gebildet, vier Bataillone, die sich nach ebenso vielen Städten unserer beiden Kreise benennen: Bernau, Freienwalde, Müncheberg und Lebus. Die Ordre de bataille des letzteren wird Dich am meisten interessieren, weshalb ich sie hier folgen lasse:
     
    Landsturmbataillon Lebus
     
    1. Compagnie Hohen-Ziesar: Graf
Drosselstein
    2. Compagnie Alt-Medewitz-Protzhagen: Hauptmann von
Rutze
    3. Compagnie Hohen-Vietz: Major von
Vitzewitz
    4. Compagnie Neu-Lietzen-Dolgelin: (Vacat).
     
    Nach dem Prinzip, das Du hierin erkennen wirst – Bamme hat das Kommando der Brigade übernommen –, verfahren wir überall. An Offizieren ist noch Mangel, weil die Zahl derer, die nur mit Wind von oben segeln können, auch bei uns überwiegt. In zehn oder zwölf Tagen muß trotz alledem alles schlagfertig sein, auch da, wo man am meisten zurück ist.
    Dies ist in gewissem Sinne zu spät, um so mehr, als es für das, was ich in den Weihnachtstagen vorhatte, auch
heute
schon zu spät sein würde. Die gesamte französische Generalität, wie mir Othegraven aus Frankfurt und Krach, der in Küstrin war, von dorther schreibt, ist glücklich über die Oder. In Zobelpelzen und mit immer erneutem Vorspann, an dem es unsere Dienstbeflissenen nicht haben fehlen lassen, sind sie dem Kaiser, der ihnen das Beispiel gab, gefolgt. Der Nachteil, der uns daraus erwächst, ist unberechenbar; die Beseitigung der Generäle,
so oder so
(von diesem Satze geh ich nicht ab), war eben wichtiger, als es die Beseitigung der Armeereste je werden kann. Vieles ist versäumt, unwiederbringlich verloren. Unsere Politik des Abwartens ist daran

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