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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Gerade ihn? Es bleibt ein Rätsel und ein Widerspruch. Denn er hat einen Überschuß von jenem Edelsinn, dessen gänzliches Fehlen in diesem Lande mir dieses Land so widerwärtig macht. Er ist großer Opfer und großer Entschlüsse fähig, und selbst der unheilvolle Schritt, der ihn in die Selbstverbannung trieb, trägt immer noch den Stempel der Entsagung an der Stirn. Und was herrscht nun hier? Der Vorteil, der Dünkel, die großen Worte!«
    »Auch
du
singst dein altes Lied«, sagte Kathinka.
    Aber Bninski hörte nicht, und ohne die Stellung zu wechseln, fuhr er in wachsender Erregung fort: »Er ist ein Pedant. Da war er freilich hier am Ort. Denn alles, was hier in Blüte steht, ist Rubrik und Formelwesen, ist Zahl und Schablone, und dazu jene häßliche Armut, die nicht Einfachheit, sondern nur Verschlagenheit und Kümmerlichkeit gebiert. Karg und knapp, das ist die Devise dieses Landes. Ich war noch ein Kind, da las ich auf der Krakauer Schule von den Alten-Fritzischen Grenadieren, daß sie Westen getragen hätten, die gar keine Westen waren, sondern nur rote dreieckige Tuchstücke, die gleich an den Uniformrock angenäht waren. Und wahr oder nicht, diese dreieckigen Tuchlappen, ich sehe sie hier in allem, in Kleinem und Großem. Angenähtes Wesen, Schein und List, und dabei die tiefeingewurzelte Vorstellung, etwas Besonderes zu sein. Und woraufhin? Weil sie jene Rauf- und Raublust haben, die immer bei der Armut ist. Nie ist es satt, dieses Volk; ohne Schliff, ohne Form, ohne alles, was wohltut oder gefällt, hat es nur
ein
Verlangen: immer mehr! Und wenn es sich endlich übernommen hat, so stellt es das Übriggebliebene beiseite, und wehe dem, der daran rührt. Seeräubervolk, das seine Züge zu Lande macht! Aber immer mit Tedeum, um Gott oder Glaubens oder höchster Güter willen. Denn an Fahneninschriften hat es diesem Lande nie gefehlt.«
    »Ich erkenne dich nicht mehr«, unterbrach ihn Kathinka. »Du sprichst dich aus dem Recht in das Unrecht hinein. Du fühlst selbst die Übertreibung, zu der dich Vorurteil und Bitterkeit fortreißen.«
    »Nein, ich übertreibe nicht. Ich lese nur die Rückseite der Medaille, weil ich sie lesen
will
. Mag ein anderer sie wieder umkehren und sich an der obenaufliegenden Herrlichkeit erfreuen, Bild oder Schrift, ich bin es zufrieden. Es mag etwas Großes damit sein, nur nicht für mich und auch nicht für
ihn
«, und dabei wies er mit der Linken nach dem an der entgegengesetzten Seite des Hauses gelegenen Zimmer des Geheimrates hinüber. »Auch nicht für
ihn
, sag ich, denn er ist Pole vom Wirbel bis zur Zeh. Er täuscht mich nicht mit seiner loyalen Preußenmiene. Preußen! Warum gerade Preußen, das uns zuerst um dreißig Silberlinge verschacherte. Jetzt ist es freilich selber an die Kette gelegt; aber auf wie lange ...? Preußen! Preußen! Warum nicht Frankreich? Warum nicht Rußland, grundschlecht, wie es ist! In seiner Sündenblüte hat es doch wenigstens den Mut, sich zu seinen Taten zu bekennen. Aber nein, es mußte Preußen sein. Und dieses Preußen, in dem der Ladalinskistamm, einer Einbildung, einer Marotte zuliebe, neu blühen und Wurzel schlagen soll,
das
tritt nun zwischen dich und mich, und um des vielleicht ausbleibenden Lächelns dreier Prinzlichkeiten willen geht in dieser Zeit, in der Gott sei Dank mehr Prinzen auf den Schlachtfeldern als in fürstlichen Wochenstuben geboren werden, unser Glück wie eine Feder in die Luft. Soll es das, Kathinka?! Bist du entschlossen?«
    Sie schwieg.
    »Lieben wir uns?«
    »Du sagst es.«
    »So seh ich nur
einen
Weg. Und du wirst den Entschluß dazu fassen können. So denk ich, so hoff ich.«
    Kathinka legte die Hand an ihre Stirn; dann, als entsänne sie sich auf etwas Zurückliegendes, sagte sie: »Ich versprach ihm, nichts zu tun, das seine Stellung untergraben oder seine Zugehörigkeit zu diesem Lande neuen Verdächtigungen aussetzen könnte.«
    »Und dies Versprechen wirst du halten. Die Flucht wirft alle Schuld auf
uns

    »Und doch ist ein Schwanken in mir«, fuhr Kathinka fort »Nicht, daß ich vor meinem Anteil an dieser Schuld erschräke. Du weißt, wie ich bin, und was an Furcht in mir ist, geht unter in der Lust am Wagnis. Also nicht um mich. Aber um
deinetwillen
; aus Liebe zu dir. Du sollst nicht in einem falschen Lichte dastehen. Und du wirst es. Wie bittere Worte werden fallen... von Tubal...«
    »... von Lewin...«
    »Nenne nicht seinen Namen. Es schmerzt mich; denn es ist keiner, den ich mehr gequält

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