Vor dem Sturm
Lüfte zog. Es war derselbe Teppich, dessen durch Farbenpracht ausgezeichnetes Bild unsren Freund Lewin auf seiner Weihnachtsfahrt nach Hohen-Vietz, wo wir zuerst seine Bekanntschaft machten, bis in seine Träume hinein begleitet hatte. Denn sein letzter Besuch an jenem Tage hatte dem Ladalinskischen Hause gegolten.
Das lag nun einen Monat zurück, und heute war es das Auge Kathinkas, das sich vom Sofa her auf dieses Teppichbild richtete. Aber sie sah es, ohne es zu sehen, denn vor ihrer Seele standen andere Bilder, bunt und lachend, und doch ein tiefer Schatten darüber hin. Was war es, das diesen Schatten warf?
Es schien, daß jemand von ihr erwartet wurde, wenigstens horchte sie von Zeit zu Zeit nach der Türe hinüber. Aber es blieb still, und in wachsender Unruhe erhob sie sich endlich und schritt auf die Blumentische, dann auf den Stehspiegel zu, um das eine oder andere an ihrem Anzuge zu ändern. Es war eine Morgentoilette, ähnlich jener, die sie am Tage ihrer Rückkehr aus Guse während ihres Gesprächs mit dem Vater getragen hatte: ein weißbordierter dunkler Morgenrock mit Pelerine und großen birnenförmigen Schnurösen, die in weiße Perlmutterknöpfe einhakten. Niemand würde das Geringste an ihrer Erscheinung vermißt haben, nur sie selber schien nicht zufrieden, ordnete ihr Haar immer wieder und wechselte mit dem Musselintuch, das sie leicht geknüpft um den Hals trug. Dann ging sie wieder auf das Sofa zu, warf sich in die eine Ecke desselben und legte den Fuß auf ein Tabouret, das sie schon vorher auf den Teppich gestellt hatte. In der Ecke lag ein Buch. Sie schlug es auf und versuchte zu lesen; aber umsonst, sie konnte ihre Aufmerksamkeit nicht zwingen.
In diesem Augenblicke trat der Graf unangemeldet ein, und sie zog den Fuß von dem Kissen, ohne sonst ihre Haltung zu ändern. Es schien, daß sie sich an demselben Morgen schon gesprochen hatten; kein Wort der Begrüßung wurde laut. Er trat an sie heran und küßte ihr die Hand.
»Und was bringst du?« fragte sie mit wiedergewonnener Ruhe.
»Die Entscheidung.«
»So sprich, erzähle«, fuhr sie fort, während sie mit dem Zeigefinger auf die Fingerspitzen ihrer linken Hand tupfte. »Ich weiß alles und will es doch von dir hören. Wie verlief es? Ich hoffe, daß dich nichts verletzt hat, kein Wort, keine Miene.«
»Nein«, antwortete der Graf, indem er sich auf das Tabouret setzte und Kathinkas Hand in seine Linke nahm. »Er hörte mich ruhig an. Als ich geendet, legte er das Elfenbeinmesser, mit dem er nach seiner Gewohnheit spielte, beiseite und sagte, ich glaube, wörtlich: ›Ich bin nicht überrascht, Graf; ich habe diesen Antrag erwartet, offen gestanden, gefürchtet. Sie wissen ohne Versicherung, daß sich diese Bemerkung nicht gegen Ihre Person richtet. Ihnen den vollkommensten Beweis davon zu geben wäre leicht, wenn ich nicht Punkte dabei berühren und Bedingungen stellen müßte, die Sie nach einer andern Seite hin verletzen und Ihre Zustimmung nie finden würden.‹«
Kathinka lächelte.
»Das alte Lied«, sagte sie.
»Ja«, fuhr Bninski fort, »er will mit Polen, mit unserem Lande, ein für allemal gebrochen haben, und daß ich es kurz mache, er schloß damit, daß eine Verbindung zwischen uns aus zwei Gründen untunlich und, wie er glaube, unmöglich sei: des Hofes halber und seiner Erinnerungen halber. Das letztere begreif ich, das erstere nicht.«
»Und doch ist beides in einem Zusammenhang«, antwortete Kathinka, »dies Zugeständnis sind wir ihm schuldig. Er bedarf des Hofes. Weil er die Brücken abgebrochen und sich und uns, sei es mit Recht oder Unrecht, aus dem heimischen Boden in einen fremden verpflanzt hat, kann er besonderer günstiger Bedingungen nicht entbehren, um in dem fremden Boden aufs neue Wurzel zu schlagen. Unter diesen günstigen Bedingungen aber, wie ich dir nicht erst zu sagen brauche, steht der Sonnenschein des Hofes obenan.«
»Vielleicht«, sagte Bninski, »oder meinetwegen auch gewiß. Es bleibt schließlich doch, wie es ist, und ich faß es nicht, warum er gerade
diesen
Boden wählte. Und
daß
er ihn wählte, das entscheidet nun über uns. Denn was er anzudeuten schien, einen Friedensschluß auch meinerseits mit diesem Lande zu machen, nie, nie, Kathinka. Auch nicht um dich.«
Er blieb stehen und schlug heftig die Finger ineinander. Dann, als ob er sich die Verkehrtheit des alten Ladalinski in einer Art Selbstgespräch klarzumachen suche, sprach er vor sich hin: »Was zog ihn nur hierher?
Weitere Kostenlose Bücher