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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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und dem ich tiefer verschuldet wäre. Und nun tu ich ihm das Schwerste! Er liebte mich, und ich war ihm gut von Jugend auf. Das ist nun vorbei. Aber du irrst, wenn du glaubst, daß bittere Worte von
seinen
Lippen kommen werden. Nicht von ihm: aber die andern! Erinnere dich des Ballabends, als du von General Yorcks Kapitulation hörtest, und denke deines spöttischen ›Sans doute‹, womit du der alten Exzellenz ihre feierliche Geschichte von dem kronprinzlichen Einsegnungsringe verdarbst. Was war die Meinung von alledem? Eine tiefe Verachtung gegen das, was sich hierlandes als ›deutsche Treue‹ gibt. Und nun frag ich dich, üben
wir
die Treue, übst
du
sie?«
    »Auch nicht ihr Gegenteil«, antwortete Bninski.
    Kathinka schüttelte den Kopf.
    Der Graf aber fuhr fort: »Und wenn es wäre, wie du meinst, Kathinka, so sprich ein Wort und laß es mich einsehen,
daß
es so ist, und ich will dem, was ich tue, kein Mäntelchen umhängen. Ich bin kein Ritter von La Mancha, der die Untreue aus der Welt herausfechten will; ich will sie nicht abschaffen, am wenigsten will ich die Vorstellung großziehen, daß ich ihr persönlich entwachsen sei oder über ihr stünde. Untreue! sie war das Erste und wird das Letzte sein; ich erschrecke nicht vor dem Wort und nicht einmal vor der Tat. Aber das Tugendgesicht, das sie hierzulande annimmt,
das
haß ich. Was mir zuwider ist, das ist die Lüge. Und das eine weiß ich: es ist
nicht
Lüge, wenn ich das, was geschehen soll, weder Vertrauensbruch noch Untreue, wohl aber Zwang und Konsequenz und Notwehr nenne. Zug um Zug. Gegen das gekünstelte und mißbräuchlich geübte Recht deines Vaters, das uns zum Opfer mir unbegreiflicher Rücksichten machen will, setzen wir unser natürliches Recht, das Recht unserer Neigung.«
    Eine kurze Pause folgte, und nur um das peinliche Schweigen zu unterbrechen, fügte der Graf hinzu: »Sieh auf die Zukunft, Kathinka. Es kommen bessere Tage. Er wird sich hineinfinden; das unabänderlich Geschehene bekehrt besser als tausend bittende Worte.«
    »Du verkennst ihn«, sagte sie, »er hat den ganzen Eigensinn der Gütigen und Schwachen. Ich darf es aussprechen, denn er war schwach gegen mich von Jugend auf. Er wird uns nicht hassen, seine Liebe zu mir wird unerschüttert bleiben, aber er wird sich mit dem Geschehenen
nicht
versöhnen und wird
nicht
Frieden mit uns schließen. Ich weiß, was ich tue. Es ist ein Scheiden auf Nichtwiedersehen !«
    Der Graf schritt auf und ab. Als er wieder an das Sofa trat, nahm sie seine Hand und sagte, mit einem Ausdruck zu ihm aufblickend, der ihr sonst fremd war: »Und so sei es denn, Jarosch! Ich fühle, es ist beschlossen, und nicht bloß durch uns. Wir erben alles: erst das Blut und dann die Schuld. Ich war immer meiner Mutter Kind. Nun bin ich es ganz. Sei gut mit mir. Ich habe nur noch dich.«
    Und sie warf sich an seine Brust.
     
Siebzehntes Kapitel
     
Bei Hansen-Grell
    Zwei Tage nach diesem Gespräch zwischen Kathinka und Bninski saß Lewin in Briefen, die der Erledigung harrten. Einige, darunter Zeilen von Doktor Faulstich und Tante Amelie, lagen schon so lange unter dem Stein, daß er ihre Beantwortung nicht wohl weiter hinausschieben und den Nichtbesuch seiner drei Vorlesungen, denn es war wieder Freitag, sich eher zum Verdienst als zur Versäumnis anrechnen konnte. Die Hulen, die von Zeit zu Zeit auf ihren altberlinischen, aus allerlei Tuchecken zusammengenähten Filzschuhen durch das Zimmer ging, sah mit Kopfschütteln, wie die Zahl der auf dem Sofatisch ausgelegten Briefe von Viertelstunde zu Viertelstunde wuchs, einige noch nicht fertig und nur erst auf der ersten Seite beschrieben. Denn Lewin haßte das Aufstreuen, ein Punkt, in dem er ausnahmsweise mit Kathinka übereinstimmte.
    »Ein Liebesbrief mit aufgestreutem Sand«, pflegte diese zu sagen, »da wird die Liebe gleich mit verschüttet und begraben.«
    Er schrieb schon zwei Stunden, aber der Hauptbrief war noch ungeschrieben, der an Renate. Er hatte ihn sich bis zuletzt aufgespart; das Plaudern mit der Schwester sollte ihn schadlos halten für die Mühen oder gar den Zwang alles dessen, was voraufgegangen war. Der Brief an Faulstich war eine literarische Abhandlung, der an Tante Amelie wie gewöhnlich ein Eiertanz gewesen; das lag nun endlich hinter ihm, und er konnte sich erholen und die Feder frei laufen lassen.
    »Liebe Renate!« so schrieb er, »wir haben heute den 29., und es ist nicht ohne Beschämung, daß ich auf das Datum Deines Briefes aus der

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